Was heißt denn hier Neu?
Neugierige kosten ein Appetithäppchen, Stammgäste können auf einen Blick erkennen, ob einzelne Haiku, Tanka, Haiga oder Haibun von Georges oder Gabriele Hartmann neu veröffentlicht wurden, welches neue Buch der bon-say-verlag gerade herausgegeben hat, ob schon eine Rezension erstellt wurde und vieles mehr.
Allerdings ist nach spätestens drei Monaten auch das Neue nicht mehr neu genug und wird aus dieser Auflistung verschwinden.
Welche Veranstaltung man sich vormerken sollte, sehen Sie unter Termine.
Tipps:
Öfter mal reinschauen, damit Sie nichts verpassen.
Und wenn Sie gerne weitere Haiku, Tanka & Co lesen wollen, klicken Sie unter Verlag die Buchcover an. Dort sind Leseproben und Rezensionen hinterlegt. Und alle Haiga finden Sie unter Markt.
Viel Vergnügen wünscht
Gabriele Hartmann
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neu am 16. April
ein Heft von
Georges & Gabriele Hartmann, Dorothea & Norbert Flemming
Rezension von Rüdiger Jung:
Dorothea & Norbert Flemming, Gabriele & Georges Hartmann: BE-GEISTERUNG.
RENSHI. 24 Seiten. Höchstenbach: bon-say-verlag, 2024. 7 €
ISBN 978-3-945890-55-4.
„Dorothea und Norbert Flemming aus Wuppertal trafen sich mit Gabriele und Georges Hartmann aus dem Westerwald im Kloster Maria Laach, um sich von dessen Historie und Architektur“ (auch vom vulkanischen Ursprung der Maare!) „begeistern zu lassen.“
Die Form des Renshi fasziniert – nicht zuletzt, weil sie freier und offener wirkt als die (vermeintlich?) strengeren Konzepte von Renga und Renku. Im erläuternden Nachwort überzeugt nicht zuletzt das Konzept „Team-Work statt Konkurrenz“. Überdies bestechend der sinnliche Ausdruck dafür, wie ein Kettenglied der Dichtung an das vorangegangene anschließt: „die Autorin / der Autor“ ‚riecht‘ (nach Basho) den Duft der vorangegangenen Strophe“.
Im Blick auf Maria Laach ist der Leser / die Leserin eingeladen, sich durch die Texte von Kultur und Natur, Geschichte und Prägung des Ortes, seiner Stimmung und Atmosphäre berühren zu lassen. Das bedeutet nicht nur kostbare Bibliothek und Nachsinnen über den „Reichsdeputationshauptschluss“. von 1803 (Säkularisation!), sondern – sehr viel grundsätzlicher – die Frage, wie weit ich mich auf die christliche Basis der monastischen Welt einlassen möchte.
Für mich kommt das vor allem in den Beiträgen von Georges Hartmann zum Tragen – und die überzeugen mich literarisch vor allem da, wo sie die Frage in ihrer existenziellen Offenheit aushalten. Das wiederum geschieht für mich am ehesten in den dreizeiligen Zuspitzungen:
mutlos vorm Altar
alle Leitungen besetzt
„Please hold the line“
Bei aller Ermüdung („mutlos vorm Altar“): das Gespräch ist nicht abgebrochen, der Draht scheint nach wie vor offen.
Was oder wer war
für den Urknall zuständig?
Gott schweigt beharrlich
Wissenschaft stößt auf Glaube – aber das Ganze bleibt nicht im Vordergründigen stecken. Ist doch ein „Schweigen“ (so unergründlich es sich darstellen mag!) mehr als die bloße Abwesenheit von Rede, zumal „beharrlich“ erst einmal den sehr aktiven Part einer Intensivierung spielt. Noch drei andere Zeilen sind Georges in besonderer Weise zu danken, weil sie traumatische Erfahrung auf den Punkt bringen:
Erinnerungen
verweigern sich der Löschung
man bleibt drauf sitzen
Das mag Brennus, der Anführer der Kimbern und Teutonen, die seinerzeit Rom eroberten, nicht anders gesehen haben. Das „vae victis“, das „Wehe den Besiegten“, das er den Römern entgegenschleuderte, fiel schließlich – bei deutlich veränderter Sachlage – auf ihn selbst zurück. Norbert Flemming schließt das Renshi mit dieser wahrhaft janusköpfigen Formel ab.
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neu am 15. April 2024
ein Haiku von Gabriele Hartmann
Fastenzeit
mein Magen streicht
einen tiefen Ton
lent
my stomach strokes
a low note
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und ein Haibun von Gabriele Hartmann
Schneid
Während des Krieges wurde Mutter aus dem Ruhrgebiet in ein kleines Dorf evakuiert. Den Lebensunterhalt für sich und Großmutter hat sie durch Näharbeiten bestritten. Aus Fallschirmseide wurden Hochzeitskleider geschneidert, alte Mäntel in mühevoller Handarbeit getrennt, gewaschen, gebügelt, gewendet und anschließend zu „neuen“ Kostümen verarbeitet. Einmal hatte sie eine Nähnadel verschluckt, da kamen ihre Kundinnen und brachten Sauerkraut.
Dann endete der Krieg. Landesweit wurden Orden und Abzeichen in Güllegruben versenkt. Und Mutter blutete das Herz, weil sämtliche Uniformen verbrannt wurden. Was man daraus nicht noch alles hätte schneidern können!
eingeholt …
wehende Fahnen
im Wind
Grit
During the war, my mother was evacuated from the Ruhr area to a small village. She made a living for herself as my grandmother did by sewing. Wedding dresses were made from parachute silk, old coats were painstakingly separated by hand, washed, ironed, turned and then made into “new” suits. Once she had swallowed a sewing needle, so her customers came and brought sauerkraut.
Then the war ended. All over the country, medals and badges were dumped in slurry pits. And mother’s heart bled because all the uniforms were burned. What else could have been made out of them!
hauled down …
waving colors
in the wind
erst auf chrysanthemum.net Hrsg. Beate Conrad
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neu am 15. April 2024
ein Haiku von Gabriele Hartmann
schattige Alleen
wir schieben uns
ins Licht
erst bei haiku-heute.de; Hrsg. Dr.Volker Friebel
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neu am 8. April 2024
unsere Beiträge im Jahrbuch AUFBRÜCHE auf Haiku-heute.de
Gabriele Hartmann
einsetzender Regen
die Menge entfaltet
ihre Farben
Artilleriefeuer in der Ferne bellt ein Fuchs
zum Frühstück
Haferbrei – der Jüngste
beklagt sein Karma
gelöst
sein langes Haar im Wind
ziehende Wolken
heftet sich
an meine Fersen – die Nacht
ein bellender Hund
Steinway die Stille bevor er Platz nimmt
Mittsommer
das Bachbett füllt sich
mit Stille
Wahlsonntag
der Wind scheitelt
mein Haar
wieder Ostwind
mit der Zeitung hole ich
die Kälte ins Haus
Schleierwolken wir kondensieren und verlieren uns
trockener Husten
in einem Glas gefangen
der Mond
Georges Hartmann
Durch den Bahnhof
zur Arbeit – auf Gleis 1
der Zug nach Paris
***
Neumond
die Lücke am Tisch
wo Großmutter saß
vom Silberbesteck
fehlen die Messer
Michaela Kiock / Gabriele Hartmann
Sandelholz
wo wir uns trafen fällt
der letzte Vorhang
in deinen Augen
noch ein Funkeln
Gabriele Hartmann / Michaela Kiock
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neu am 5. April
2 Haiga von Georges und Gabriele Hartmann
Foto Georges Hartmann
Koexistenz … wir finden Antwort auf die Parolen
Haiku Gabriele Hartmann
Foto Gabriele Hartmann
zur Friedensdemo
ein Grußwort
vom lieben Gott
Haiku Georges Hartmann
erst in der Ausstellung des Kunstforums Westerwald e.V. TANDEM
in der Sparkasse Westerwald Sieg in Montabaur
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neu am 1. April 2024
ein Tan-Renga-Haiga von
Christof Blumentrath & Gabriele Hartmann
auch sie hört
das Hämmern
in meinem Kopf
Spuren, die die Panzer
hinterließen
erst bei Haiga im Focus; Hrsg. Claudie Brefeld
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neu am 15. März 2024
1 Haiga von Gabriele Hartmann
Amors Pfeil
diese Schlacht werde ich
verlieren
erst bei www.haiku-heute.de; Hrsg. Dr. Volker Friebel
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neu am 15. März 2024
1 Haiku von Gabriele Hartmann
StreetART
ein Hund signiert
den Wendehammer
erst bei www.haiku-heute.de; Hrsg. Dr. Volker Friebel
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neu am 1. März
1 Haiga von Georges & Gabriele Hartmann
erster Frühlingsmond
wir nehmen den Tee
auf der Terrasse
Georges Hartmann: Foto, Gabriele Hartmann: Haiku & Design
erst in Sommergras & auf Haiku.de; Hrsg. Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V.
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neu am 1. März 2024
1 Haiku von Georges Hartmann
Zutiefst ergriffen
steh ich im schwarzen Anzug
an der Schrottpresse
in Sommergras; Hrsg. Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V.
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neu am 1. März
3 Haiku, 1 Tanka, 1 Haiga, 2 Haibun von Gabriele Hartmann
Jahreswechsel
wir entsagen
der Stille
Schneegestöber und
Spitzbuben – an der Hintertür
rüttelt der Wind
früher
sagt sie
er nimmt die Brille ab
wachsen sollten
meine Träume – doch
im Lauf der Zeit
rinnen sie wie Wasser
aus einem geflochtenen Korb
Valentin
sie glaubt ihm
kein Wort
BLENDE
Haibun
Zwischen Traum und Tag öffnet sich ein Fenster in die Vergangenheit. Noch mit geschlossenen Augen erzähle ich, dass Großmutter – sie hatte einen Kropf – Tag für Tag am Küchenfenster saß und die Straße beobachtete. Sie hat das Dorf nie verlassen.
Oma hingegen – sie war herrlich weich und warm – wohnte bei uns in der Stadt und wir nahmen sie immer mit, wenn wir auf Reisen gingen.
Meine Großväter habe ich nie kennengelernt. Der eine war Briefträger, hielt Hasen, Hühner, Ziegen und ein Schwein. Der andere war Taxiunternehmer und hinterließ Schulden.
Licht & Schatten
auf alten Fotografien
ihr Geist
***
HEUTE
Haibun
Ich habe mir fest vorgenommen: Heute ruf ich sie an.
Werde mir anhören, was sie immer sagt, wenn sie auf früher zu sprechen kommt. Werde fragen, was heute war und es ihr nicht glauben. Weiß jetzt schon, dass sie unser Gespräch sofort wieder vergessen haben wird. Aber bevor wir auflegen, werden wir uns sagen: Ich hab dich lieb.
davor
danach
was bleibt
alle erst in Sommergras & auf Haiku.de; Hrsg. Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V.
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neu am 1. März 2024
2 Tan-Renga und 1 Rengay:
Cocktailparty
schnell schmilzt
das Eis
aus dem Klirren
erhebt sich ein Lachen
Rita Rosen & Gabriele Hartman
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am Bahnsteig
dein Schweigen übertönt
all den Lärm
dann huscht mein Gesicht
von Fenster zu Fenster
Michaela Kiock & Gabriele Hartmann
***
WIR
Paarlauf
wir tragen
Fäustlinge
an kahlen Zweigen
schwellende Knospen
im Bauerngarten
die ersten Küsse
Duft frischer Minze
Glühwürmchen –
in der Dunkelheit
DU
Wange an Wange
mit dem Leithengst
wie es begann –
auf dem Schwarzweißfoto
halten sie Händchen
Gabriele Hartmann 1, 3, 5; Deborah Karl-Brandt 2, 4, 6
alle erst in Sommergras & auf Haiku.de; Hrsg. Deutsche Haiku-Gesellschaft e. V.
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neu am 1. März 2024
1 Haiga von Georges & Gabriele Hartmann
letzter Wintermond
wir pflanzen
einen Wunsch
Georges Hartmann: Foto, Gabriele Hartmann: Haiku & Design
erst bei www.claudiabrefeld.de/Haiga-im-Focus
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neu am 15. Februar 2024
ein Haiga von Gabriele Hartmann
freier Fall du weißt
die Zeit liegt – wie immer –
vor uns
doch lass uns endlich
den Ersatzschirm öffnen
erst auf einunddreissig.net; Hrsg. Dr. Tony Böhle
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neu am 15. Februar 2024
2 Tanka von Gabriele Hartmann
mein Misstrauen führt
vom Regen in die Traufe
sicherheitshalber
tausch ich die Übergangsjacke
gegen den Rettungsschirm
obwohl ich den Blick
aus dem Küchenfenster kenne
schau ich schon wieder
hinaus – immerhin trägt die
Nachbarin einen neuen Hut
erst bei einunddreissig.net; Hrsg. Dr. Tony Böhle
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neu am 15. Februar 2024
ein Haiku von Gabriele Hartmann
Konfettiregen
die Menge reckt die Hände
zum Himmel
Erst auf haiku.heute.de; Hrsg. Dr. Volker Friebel
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neu am 10. Februar 2024
ein Haiku von Georges Hartmann
vergessen auf Zeit
im sich lichtenden Nebel
die alten Fragen
erst bei Reklamekasper; Hrsg. Norbert Kraas
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neu am 1. Februar 2024
ein Haiga von Georges Hartmann (Foto)
und Gabriele Hartmann (Haiku)
nach den Feiertagen
wir unterbrechen
unser Schweigen
erst bei Haiga im Focus; Hrsg. Claudia Brefeld
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Volker Friebel schreibt auf Haiku-Heute.de vom 15. Februar 2024
„Blaue Stunde“, ich muss nachschauen und finde, das ist die Zeit kurz vor Sonnenauf- und kurz nach Sonnenuntergang, in der sich die spektrale Zusammensetzung des Lichts ändert. Grund ist der schräge und damit längere Weg durch die Ozonschicht, die die anderen Lichtspektren vermehrt absorbiert, so dass Blau übrig bleibt. Dichterisch ist die Dämmerung als Zwischenzustand besonders interessant, und Blau nicht minder, durch seine Assoziation mit Ruhe, Weite, Offenheit, aber auch mit Melancholie.
Die „blaue Stunde“ von Gabriele Hartmann versammelt ihre besten Haiku aus dem Jahr 2023. Ich blättere durch das Werk mit der praktischen Spiralbindung: 134 Seiten, je Seite ein Haiku, insgesamt habe ich 123 gezählt, denn einige Übersetzungen stehen dabei. Eine schöne Jahresernte, aus der ich gleich einige meiner Favoriten zitieren will.
Verwandtenbesuch
er schlägt einen Knick
ins Paradekissen
heftet sich
an meine Fersen – die Nacht
ein bellender Hund
ein Schwan
und seine Spur im Schlamm
wir vergeben der Welt
letzte Nacht
in ihren Wimpern
glitzern Tropfen
Mutters Gesangsbuch
abgegriffen
das Hohelied der Liebe
Krieg – das Lied in meinem Kopf will nicht enden
Artilleriefeuer in der Ferne bellt ein Fuchs
Familientreffen
die Augen der Männer
vom gleichen Blau
Platzregen
die Trauergemeinde wechselt
ihre Farbe
Eine anregende Sammlung. Natürlich, die Gefahr, dass mit den Jahren des Haiku-Schreibens sich Routinen entwickeln, besteht, ich kenne das zur Genüge von mir selbst. Vielleicht ist es die wichtigste Kunst beim Schreiben von Haiku, immer wieder neu zu beginnen, die Welt immer wieder wie zum ersten Mal zu sehen, jedenfalls immer staunen zu können. Das ist nicht einfach. Gabriele Hartmann gelingt es wohltuend häufig. Und wenn es gelingt, sind das die Texte, die stehenbleiben, die auch andere Menschen inspirieren.
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neu am 15. Januar 2024
Gabrieles neues Haiku-Buch „blaue Stunde„; 131 Haiku 2023
Rezension: Brigitte ten Brink
Gabriele Hartmann legt mit „blaue Stunde“ ihr Haiku-Jahrbuch mit 125 Haiku des Jahres 2023 vor. Wer sie kennt, weiß, dass ihn hier wieder ganz besondere Texte erwarten: tiefgründige, abgründige, nachdenkliche, humorvolle, naturverbundene. Es sind wundervolle poetische und gleichzeitig anschauliche Miniaturen aus dem Leben, dem persönlichen Erleben, aus dem Jahresablauf und den Ereignissen des vergangenen Jahres.
Auch wenn sich die „blaue Stunde“, die der Sammlung den Titel gibt, physikalisch und somit wissenschaftlich erklären lässt, birgt sie im allgemeinen Verständnis etwas Geheimnisvolles, nicht Erklärbares. Dieses besondere blaue Licht, welches wir in der Dämmerung kurz bevor es dunkel wird, wahrnehmen, lässt eine ganz eigene Stimmung aufkommen und birgt eine besondere Faszination, der sich kaum ein Mensch entziehen kann. Das titelgebende Haiku
blaue Stunde
wo unsere Gefühle
wurzeln
findet sich auf S. 61. Es beinhaltet eine wunderbare Erklärung dieses Phänomens, denn es geht in die Tiefe menschlichen Empfindens und beschreibt diesen Vorgang mit einfachen Worten.
In Gabriele Hartmanns Haiku geht es grundsätzlich um das Leben in all seinen Facetten, um das äußere und das innere Leben und Erleben und was es mit den Menschen macht. Es ist egal, welche der Seiten in dem postkartengroßen Büchlein mit Ringbindung ein Leser aufschlägt, er wird direkt in den konkreten Augenblick eines Ereignisses gezogen und das auf unterschiedlichste Art und Weise.
Räuber & Gendarm
eine Stimme
die zum Essen ruft
(S. 6)
und gleich daneben
altes Tagebuch
mit jedem Wort vertieft sich
das Brennen
(S. 7)
Auf dieser Doppelseite prallen scheinbar zwei verschiedene Welten aufeinander: Einer mehr oder weniger unbeschwerten Szene aus der Kindheit (wahrscheinlich war es lästig, aus dem Spiel herausgerissen zu werden, um zum Essen ins Haus zu kommen) wird eine Szene aus der Welt eines Erwachsenen gegenübergestellt, der in den Sog der Erinnerungen gerät. Vielleicht gehört aber das erste der beiden Haiku zu eben diesen Erinnerungen und diese Reihenfolge ist beabsichtigt. So wie das ganze Büchlein in seiner Konzeption und der Anordnung der Haiku einer Choreographie folgt, die sich durch das Jahr und die Jahreszeiten bewegt. Es beginnt mit einem Haiku zum Jahreswechsel und es endet mit zwei Haiku, die in der Zeit zwischen den Jahren angesiedelt sind.
Wintermond
wir zweifeln
und tasten
(S. 6)
Feiertage wir kalibrieren Frieden
(S. 134)
Synkopen
zwischen den Jahren
Überraschungsgäste
(S. 135)
Drei Haiku, die die Unsicherheit des gesamten Jahres 2023 widerspiegeln. Wohin steuern wir als Individuen aber auch als Mitglieder einer Gesellschaft und Bewohner einer Welt, die alles andere als friedlich ist? Und dann sind da die Leerstellen, die Momente der Überraschung, man könnte auch sagen der Überrumpelung, in denen keiner weiß, wohin Entscheidungen und Ereignisse wirklich führen, was sie bewirken werden.
Auf den Seiten dazwischen gibt es Haiku-Momente zu lesen, die berühren, erstaunen, dem Leser aus der Seele sprechen, Dinge auf den Punkt bringen, analysieren, zum Nachdenken anregen oder auch einfach „nur“ beschreiben und trotzdem vieles sagen.
herbstlicher Wind
die Kronen der Bäume
füllen sich mit Himmel
(S. 95)
Es sind Ereignisse aus dem menschlichen und zwischenmenschlichen Bereich, aus dem gesellschaftlichen und sozialen, auch aus dem politischen und immer wieder Bilder aus der Natur und aus der Wissenschaft, für die Gabriele Hartmann eine wunderbare poetische und gleichzeitig konkrete Sprache findet. Und immer wieder auch klingen philosophische und metaphysische Töne an, die ins Übersinnliche gleiten und ins Innerste dringen.
verlorene Zeit
durch zerbrochene Scheiben
tropft Glockenklang
(S. 74)
Gerne würde ich noch mein Lieblings-Haiku aus diesem Büchlein zitieren, doch ich kann mich nicht entscheiden …
***
Und wo sind jetzt die all schönen Beiträge vor dem 15.Januar 2024?
Die waren nicht mehr neu genug für NEU.
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Viel Freude beim Stöbern wünscht
Gabriele Hartmann