„Künstlerpech!“, Kurzgeschichten, Gabriele Hartmann
Softcover, A5, 124 Seiten, 2013, ISBN 978-3-945890-05-9
Rezension Dana Polz:
Literarische Polaroids – Gabriele Hartmann und die
Ästhetik des stummen Schocks
„Aus ‚Künstlerpech‘ kann Leserglück werden“, beginnt Rüdiger Jung seine Rezension zu Gabriele Hartmanns Erzählband. (Nur) Glück, so heißt eine Erzählung dieses Bandes; sie endet auf Seite 99 – mit einem Knall. Das Glück schweigt: „Die Explosion brachte alle Geräusche, alles Denken, alles Glück zum Verstummen.“
Das Leserglück hingegen, es schweigt nicht. Künstlerpech beglückt, beglückt den Leser mit seiner Ästhetik des stummen Schocks. Wie feine Gemälde auf mundgeblasenen Glaskugeln verhalten sich Hartmanns Erzählungen; stumm reißen deren Strukturen ein. Das Ohr traut dem Auge nicht; es hat nichts gehört, will auch nichts gehört haben. In seltenen Fällen ist er von Beginn an spürbar, der (Unter-)Druck, der sich in einem abrupten Abbruch des Narrativs entlädt wie In der Kirche: „Nach seinem ersten Besuch im Kasperle-Theater hatte der kleine Andreas großen Respekt vor dem Kasperle. Der Nachmittag hatte mit Tränen der Angst geendet und ich musste ihm hoch und heilig versprechen, ihn künftig nicht mehr ins Kasperle-Theater zu schicken. […] Kaum hatten wir die Kirche betreten […], brach Andreas beim Anblick des Beichtstuhls in lautes Geschrei aus: ‚Raus hier, raus hier! Gleich kommt das Kasperle!‘“ (S.20) Ob Hartmann über die faktisch gar nicht kinderfreundlichen Wurzeln des Kasperle im Bilde ist oder der Zufall die Intuition in erschreckend reale Bahnen geleitet hat, mag an dieser Stelle keine Rolle spielen: idyllisch ist der narrative Vorhang, den sie mit Geschick zu weben weiß, den sie einreißt, zerreißt. Der Blick fällt – auf die Wand hinter der Wand, den Raum hinter dem Raum. Am Meer beginnt es: „Am Horizont küsst der Himmel zärtlich die Wasseroberfläche, saugt aus intimer Nähe Feuchtigkeit in durstige Wolkenschwämme. Des Meeres sanfte Wellen wiegen verschmolzene Tropfen in taumelndem Reigen.“ (S. 6)
Kaum eine Seite später offenbart das vielleicht verschlagendste der vier Elemente seine Janusköpfigkeit: „Dem Wasser entsteigt ein Taucher. Sein Neoprenanzug hauteng, vor dem Gesicht eine Maske. Langsam, Schritt für Schritt kommt er näher. Er hebt die Hand mit der Harpune.“ (S. 7) Das Meer, es gewährt jedem Einlass, auch den Jägern, vor allem den Jägern.
Der Film zeigt radikalere Bilder, literarische Polaroids, verschwiegene Momentaufnahmen, stumme Schreie, zeitgleich schön und verderblich: „Das Fachwerkhaus mit Schätzen vom Sperrmüll voll gestopft. Mannshohe Skulpturen im Innenhof. In Stein gehauene Gefühle. Farbenfroh die riesigen Leinwände im Atelier. Der Kräutergarten bunt und bedrohlich. Gift ist eine Frage der Dosierung.“ (S. 75)
Hartmanns Literatur ist keine, die Unschuld heuchelt; zart, verträumt, verletzlich überlässt sie dem Leser, sich subversiv zu vergiften an ihr – im besten Sinne. Dass Rache und Schmerz mit Liebe und Leidenschaft verschwistert sind, thematisiert sie nicht als erste, doch auf ungeahnt intensive und authentische Art und Weise.
Künstlerpech! gleich „Leserglück“? – In diesem Fall: Definitiv!
Dana Polz
Rezension Rüdiger Jung
Aus
„Künstlerpech“ kann Leserglück werden. Die Transformation kann
gelingen. Zumindest, wenn man sich gerne überraschen lässt – ein Metier, das
Gabriele Hartmann beherrscht. Neue Blickwinkel auf Sprache und Leben tun sich
vielfältig auf. Und die Fabulierlust und -freude der Autorin ist schrankenlos.
Was sie zutage fördert – dafür passt nicht unbedingt das Stichwort des
„Erbaulichen“. Aber ein Humor, der die Unfarbe Schwarz nicht
ausschließt und ein bis in den letzten Lachmuskel geschärfter Sinn für absurde
Komik können helfen, eine Welt zu bestehen, zu deren unzähligen Eigenschaften
auch die gehört, bitterböse zu sein.
Das fängt beim „Alltag“ an. Etwa die Geschichte
„Überraschungseier“, deren Titel – wie nicht wenige Worte bei
Gabriele Hartmann – im Laufe der Lektüre einen völlig neuen Sinn bekommt. Eine
Kundin erwischt einen jugendlichen Dieb, hält ihm eine Moralpredigt und lässt
ansonsten Gnade vor Recht ergehen – was sie vor seiner Rache keineswegs
schützt. Er bringt sie in genau die Situation, aus der sie ihn befreit hat.
Geradezu diabolisch gerät – wer wollte das bei diesem Titel vermuten? –
„Ein halbes Gläschen“. Versuchung ist hier keine Bagatelle, sondern
abgründig und existenziell.
Dabei reizt schon der „Alltag“ zu vielfältigem Perspektivwechsel. Die
gediegene Scheindialektik, mit der das kleine Mädchen sich selbst den Beweis
der Realexistenz vom „Nikolaus“ erbringt, hat mehr als nur ein
Schmunzeln in sich. Auch „Der erste Flug“ gerät nicht weniger
beunruhigend als köstlich: Hund oder Frauchen – wer dressiert wen? Dass der
Hund den Flug für etwas Fressbares hält, taugt für die „Krone der
Schöpfung“ zur Beschwichtigung, aber keineswegs zur Entwarnung.
Im zweiten Kapitel, „Fantasie“, hat es mir „Der
Wunschgeist“ in besonderer Weise angetan. Das alte Märchenmotiv von den
„drei Wünschen“ ist literarisch wieder und wieder aufgegriffen
worden. Es ist der Witz, die Fabulierfreude von Gabriele Hartmann, die auch bei
diesem alten, vertrauten Motiv den Gedanken an Abnutzung gar nicht erst
aufkommen lässt.
Die „Liebe“ zweier Menschen ist – so lautet eine der Quintessenzen
der Erzählerin – wieder und wieder von Dritten bedroht: „Du und
Peter“, „Sie heißt Sabine“. Bei aller Dramatik lässt auch die
gefährdete Liebe immer noch Winkelzüge zu. Plausibel, dass Maria Werner
schlicht und einfach bestraft. Aber als Leser möchte ich gerne auch die
amüsante Lesart zulassen, dass der Intrigant erleben muss, dass die
Wirklichkeit ihn gleichsam rechts überholt.
Die Liebe als Seifenblase ist ein Plot, den die Autorin sich nicht entgehen
lässt. Etwa, wenn in „Eine Kette“ die forcierte männliche Begierde
nur scheinbar dem weiblichen Ausschnitt, tatsächlich aber dem Anhänger des
Kettchens gegolten hat. Immer wieder erweist sich der Humor der Erzählerin als
vielschichtig. Nicht genug, dass „Die Weihnachtsfrau“ die brüllend
komische Liaison von Nikol Aus und Chris Kind entwirft. Setzt es nicht noch
eins drauf, wenn der Finanzbeamte fragt: „Kann ich Sie nicht irgendwo
absetzen?“
Das „Schicksal“ ist freilich eine noch bessere Vorlage, um geradezu
maßlos komischen Pointen die Zügel restlos schießen zu lassen. Wenn etwa
„Der Tunnel“ eine Geschichte um Leben und Tod, sich letztlich an der
vergessenen Umstellung auf die Sommerzeit festmacht. „Am Strand“ (ist
übrigens für mich die Geschichte, die die spezifisch erzählerischen Qualitäten
der Autorin am deutlichsten zutage treten lässt.
Keine Frage, dass solcherart pointiertes Erzählen eine Möglichkeit ausließe,
wenn es sich dem kriminalistischen Fach versagte. Folgerichtig ist das letzte
Kapitel mit „Mord“ überschrieben. „Die Wiederholung“
bedeutet schon als Titel einen Ausflug ins komische Fach: leben wir doch als
Fernsehzuschauer fast nur von und mit der Wiederholung. Gewiss: in der
Geschichte ist es anders gemeint. Aber am Ende steht die Frage, ob die sehr
reale Wiederholung sich nur im verängstigten Kopf der Zuschauerin oder aber in
der Realität abspielt.
„Ein griechischer Abend“ ist eine rabenschwarze Geschichte von
Vergeltung und Abrechnung. Trotzdem schleicht sich in die letzten Zeilen der
denkbar köstlichste Humor ein – wie ich ihn etwa mit der Fernsehserie
„Mord mit Aussicht“ verbinde. Muss doch das Opfer in all seiner
Agonie noch etwas richtigstellen und den Titel korrigieren: „Ein perfektes
Arrangement: Eifersucht, San Remo und Mord. Es war ein italienischer Abend.“
Aus „Künstlerpech“ kann „Leserglück“ werden. Für den
Rezensenten jedenfalls ist diese Transformation gelungen. Waltet doch da eine
Liebe zur Fantasie, die es mit Alltag, Schicksal und Mord scheint aufnehmen zu
können.
Rüdiger Jung