Christof Blumentrath, Autorenseite

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CB Pinselstriche

Christof Blumentrath

Pinselstriche

Haiku
Haiga
Haibun
Fotos



Frühjahrsputz
wische den Himmel
in mein Fenster

all das Grün
in ihrer Stimme
Singdrossel

dünnes Eis
wir erkunden
die Wirklichkeit



Schnee
überall nichts
als Schnee

Hand in Hand
die Architektur
der Versöhnung

erster Frost
auf dem See
der zerbrochene Mond


VERWANDLUNGEN


Haibun

Brennpunkt
der Weise präsentiert
ein Bündel Fragen

Nahezu menschenleer, unsere kleine Stadt. Mein Frisör steht im Eingang seines Salons und lüpft den Mundschutz, um zu rauchen. Seine schwarzen Augen lächeln mich an. Ich winke ihm zu.

der große Platz
von der Leere
verschluckt

Noch immer trage ich tapfer meine Coronafrisur. Für diese plötzliche Krise gut präpariert und mit dem Mut der Verzweiflung verstecke ich sie zumeist unter einer dieser Tweed-Kappen, wie sie auch die Jungs trugen, die in den dreißiger Jahren ihre rotzverschmierten Gesichter in die Kamera hielten, während sie hinter der Fischfabrik geklaute Äpfel gegen eine Zigarette tauschten. Meine Metamorphose verlangt darüber hinaus nach weit geschnittenen Hosen mit Taschen, in die man seine Hände und allerlei nützliche Dinge sehr tief versenken kann. Das Bein gern zu kurz. ‚Hochwasser’ nannten wir das früher. Auch die ausgetretenen Schnürstiefel mit durchgelaufenen
Sohlen, natürlich schwarz, welche unabdingbar dazugehören, mag ich gern. Eine schwere Wolljacke, mit eckigen Schultern und aufgestelltem Kragen à la James Dean, macht aus mir einen glücklichen Mann. Leider ist sie mir momentan zu warm. Aber in diesem Frühjahr kommt es eh nur auf die Kopfbedeckung an. Mein Frisör winkt zurück.

vor dem Regen
der Duft
von Regen


Boarding
ab jetzt ist alles
danach

auch fünfzig ist nur eine Zahl rote Rosen

Kindergeburtstag
eines der kleinen Ferkel
gehört zu mir

VORHANG AUF

Haibun

Regen. Dieser anhaltende, laute Regen, der sich aus bleiernem Himmel ergießt. Regen, welcher bald aus dem kleinen Bach hinter dem Haus einen wütenden Fluss werden lässt. Regen, der hart auf das Blechdach trommelt und in der Nacht gegen schwarze Fenster klatscht.
Nicht dieser weiche Kindheitsregen, leicht wie Luft, in dem wir trotz durchnässter Hemden unablässig auf einen schweren Lederfußball eindroschen, der nach Gras roch. Dieser Regen nimmt dem späten Novembertag jedes Licht, spült braunes Laub über die Gehwege und lässt Sturzbäche aus überlaufenden Dachrinnen in die Beete mit den letzten Rosen krachen. Radfahrer wühlen sich vornübergebeugt durch tiefe Pfützen und schütteln sich das Wasser aus dem Gesicht.Wenn der aufkommende Wind später die Wolkendecke aufreißt, lässt die Sonne das bunte Laub in den Ahornbäumen aufleuchten. Rotviolette Hortensienblüten werden die Pracht ihrer Vergängnis zeigen.
Ich öffne das Verandafenster und lausche den Tropfen, die von Blatt zu Blatt springen.

wenn ich
nichts mehr glaube
das Lächeln des Fremden




Flur B, Zimmer vier —
die ausgetretenen Schuh‘
mit Spucke geputzt

Schneefall
in tiefer Nacht
Chopin

zu wenig
der letzte Pinselstrich
zu viel



letzter Sommer
stecke meine Nase
in ihr Kissen

neunzigster Geburtstag
ihr Strohhut geschmückt
mit Pfefferminze

Abendsonne
die kleine Spinne klettert
an der Luft empor

in die Kühle
des frühen Morgens
schweigen

NOTIZEN

Haibun

Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte ich vergeblich gewartet.

in die Kühle
des frühen Morgens
schweigen

Auch jetzt, als ich mit meiner ersten Tasse Kaffee auf meiner Gartenbank den neuen Tag begrüße, hat sich noch nicht viel verändert.
Doch, die Nähte der ungeöffneten Blüte scheinen mir leicht geweitet. Ich runzle kurz die Stirn und wende mich meinem Tagebuch zu, in welchem ich täglich eine Art Kondensat meiner Erlebnisse und Gedanken notiere.
Es ist Sonntag. Auf der nahegelegenen Baustelle ruht die Arbeit. Stille hat sich über unsere kleine Siedlung gelegt. In der Nacht hatte ich einen Traum. Will ihn aufschreiben und ringe um eine angemessene Formulierung. Ich unterbreche mitten im Satz und mein Bleistift schwebt für einen Augenblick in der Luft.
In Gedanken vertieft schaue ich ins Nirgendwo, als sich in einer Spalte der Blütenkapsel das erste Rot zeigt. Ich lege Stift und Notizbuch beiseite, stehe auf und gehe langsam, als könne ich sie erschrecken wie ein scheues Tier, vor der Pflanze in die Knie. Keine fünf Minuten sind vergangen, als sich eines der beiden behaarten Kelchblätter löst und zu Boden fällt.
Und dann geschieht es.
Mit einem Geräusch, so leise, dass man glauben möchte, es sei nicht für das menschliche Ohr bestimmt, entfaltet die Blüte nach und nach ihre fest aneinander gepressten Blätter.

transalpin
der Origamikünstler
kraust die Stirn

Ich halte die Luft an und lausche. Kann ich meinen Ohren trauen? Ist das wirklich ein Rascheln? Höre ich ein Knistern? Ist es vorbei als ich denke, es sei vorbei?
Das zweite Kelchblatt fällt.
Ich spüre den Rhythmus meiner Herzschläge. Ausatmen. Wie geräuschvoll doch mein Bleistift über das Papier kratzt, als ich später in mein Büchlein schreibe.

wieder Herbst
mein letzter Brief an sie
verstaubt



Waldspaziergang
die Ameise überquert
einen Sonnenstrahl

Mutters Eierlikör die Länge unserer Zunge

Morgenlektüre
ein Kleks Konfitüre
auf den Minister

bemooster Grabstein
die kleine Enkelin lauscht
Opas Geschichte



Herbstabend
das Eichhörnchen pflanzt
einen Walnussbaum

zurück aus Spanien
meine Zunge hört nicht auf
zu rollen

Siesta


Haibun

Ich träumte von einem kühlen, frühherbstlichen Tag.

an Holznägeln aufgehängt
die Aromen
des Sommers

Das Thermometer zeigt 16 Grad, es duftet nach reifem Obst und Rasenschnitt. An diesem Morgen hängen feine Gewebe in den Gräsern und ich bekomme eine Gänsehaut, als ich barfüßig meinen Garten mit kleinen Schritten vermesse. Auf dem Holztisch, dessen Farb- und Kratzspuren von zwei Generationen Gartenliebe zeugen, liegen zwei „Rote Russen“, Tomaten aus meinem Gewächshaus. Zum späten Frühstück werde ich sie in dünnen Scheiben, verziert mit Basilikumblättchen, meinen schwedischen Freunden anbieten. Sie sind aus dem hohen Norden angereist und wollen mit uns einige Tage durch den hiesigen „Indian Summer“ wandern. Auf ihrer Heimreise werde ich sie begleiten und erst zurückkommen, wenn der Schnee schmilzt.

Northern Lights
die alte Thuja zeigt mir
Pegasus




ich bin ich bin nicht Sand der durch meine Hände rieselt

EINFACHE FAHRT


Haibun

auf der im süden dänemarks liegenden insel mohnblumen im wind die überaus freundlichen menschen wenn sommerliche brisen die sonne erträglich machen das spiel der wolken im auf und ab der hügel an der nordküste auf dem sattel eines rades von anker dem vermieter und minigolfbahn-betreiber seine frau bringt mir kaffee selbst die öffentlichen wc’s im fährhafen blitzeblank überbordende fülle von rosen bunt auch die alten häuser in der luft geruch von meer das rauschen in der nacht erfrischender regen barfuß in sandalen die schlüssel stecken von außen fühlt euch wie zuhause zuhause dann die erinnerung erinnern wir blättern durch ein fotobuch weißt du noch meine tochter summa cum laude der endlose himmel nach ihrem bestandenen examen sie lacht sie weint sie lacht die zeit die uns bleibt –



Schlehenernte
aus spitzem Gezweig
den Sommer zupfen

Fußgängerzone
Strich für Strich das Lächeln
der Mona Lisa

KARFREITAG

Haibun

Vor der Heimfahrt wollen wir uns noch ein wenig die Beine vertreten. Wir schlendern gemeinsam durchs Veedel, wie man in Köln sagt. “Das müsst ihr euch unbedingt noch ansehen!“- meine Tochter schiebt ein rostiges Tor durch den Sand. Wir betreten einen alten, verwunschenen Friedhof. Einen Geusenfriedhof. 80- jähriger Krieg, Niederländische Freiheitskämpfer. Ich lerne dazu.
Erstmals 1576 erwähnt, wurden hier während der Gegenreformation geflüchtete Protestanten begraben. Die Nutzung des Friedhofs endete 1829.
Auf horizontalen Grabplatten und einigen kleinen Stelen zittern die langen Schatten monumentaler Bäume. Ein weicher Teppich aus blühendem Gunderman dämpft unsere Schritte und verströmt einen würzigen Duft. Manche Platten liegen schräg und scheinen sich mit der Erde zu verbinden. Bröckelnder Stein, die gemeißelten Inschriften verwittert, verzehrt von den Jahrhunderten. Zwischen rundlichen Inseln von Moos entdecken wir Wappen und Relikte von Todessymbolen.
Ein Martinshorn zerschneidet die Stille und setzt uns zurück in das Jahr 2020.

verstummte Zeugen
die Sonne senkt sich
über Golgatha


allein
zuschauen
wie es Nacht wird

letzter Tag
leise verschieben wir
die Worte

gestrandet
über das Lager wälzt sich
der neue Tag

Rummelplatz
in der Pfütze dreht sich
ein Fahrschein

Vogeltränke
der Sperling lässt
den Himmel spritzen

Cello Suite
mit der linken Hand spielt
ein Sonnenstrahl

FREMDES LAND

Haibun

Das Straßencafé ist am Vormittag bereits gut besucht.Ich entdecke einen freien Platz, rücke den Metallstuhl zurecht, hänge meineJacke über die Lehne und drehe mich in den Schatten der großen Platane.
Es knirscht verführerisch, als ich den kleinen Löffel über den Boden der feinen Tasse führe. In dem Eisbecher, welchen mir der Kellner bringt, steckt ein buntes Papierschirmchen. Ich drehe den hölzernen Stiel zwischen meinen Lippen und denke, dass sich seit 30 Jahren nichts geändert hat.
In dreißig Jahren werde ich tot sein. Oder in dreißig Minuten.
Nachdem ich bezahlt habe, gehe ich zum Fluss hinunter. Ich setze mich ins Gras und betrachte das gegenüberliegende Ufer. Ich war immer ein guter Schwimmer gewesen.

vor der OP
ein guter Tag
um fischen zu gehen



Laudes
von Mauern gerahmt
ihre Stille


eyes closed revealing the secret of a rose


Abendrot
im Puderdosenspiegel
ihr kleines Lächeln



frisch verliebt
die Sterne leuchten
durch das Dach


Lippenpiercing eben wollt‘ ich sie noch küssen


stars one by one the old stillness of the world

Impressum


Christof Blumentrath
Elbinger Weg 12
46325 Borken

alle Rechte liegen beim Autor/Fotografen

zur Person


geboren 1956
liebt das Leben mit und in der Natur.

Kontakt: cb56@gmx.net

Web-Gestaltung dieser Präsenz: Gabriele Hartmann, bon-say-verlag

Fähigkeiten

Gepostet am

5. August 2020