Brigitte ten Brink, Autorenseite

, ,

zwischen den Jahren
vergessenes Laub weht
durch den Garten



Epiphanias
die Sternsinger ohne
den schwarzen König


mitten im Winter
auf ihrer Schulter
ein Blütentattoo

Durchbruch
ohne schweres Gerät
Schneeglöckchenspitzen


vorm Kunstmuseum
Blütentupfer im Park
Monet muss warten


Frühlingsspaziergang
das Vogelgezwitscher
nicht auf dem Foto

Freilichtbühne
der Himmel wechselt
die Beleuchtung


Rast am Flussufer
tief in mir die Trägheit
des Stromes


die Wiesenwege
meiner Kindheit
alle asphaltiert


Sommersonne
im Briefkasten heute
ein Herbstkatalog


Mirabellenbaum
zwischen den Zweigen
summendie Erntehelfer


Herbstwanderung
unsere Gedanken
Hand in Hand


Laub
kehrender Wind macht sich
lustig über mich


Diva im Herbst
täglich etwas blonder
der Ginkgo


im Herbststurm
durcheinandergewirbelt
mein altes Leben

Sturm und Regen
was ich tun wollte heute
vergessen


Winterlager
m Yachthafen ankern
Wasserhühner


walking on sunshine
die Scheibenwischer
nicht im Takt


Gegenwind
mein inneres Gerüst
einsturzgefährdet


Blick über den See
soweit das Auge reicht
fifty shades of grey


Wartezimmer
aus der Wanduhr
tropft die Zeit


Mandelkern
den Bitterstoff meiner
Gedanken schmecken


Mauersegleri
ich träume nicht mehr
Fliegen


fremder Garten
ein süßer Duft weht über
seine Mauern

Himmelsbühne

Haibun

Der Beifall ist verebbt, die Zuschauerströme in der warmen Sommernacht versickert.

In mir wogen noch immer die Bilder und Klänge der Opernaufführung auf der Bregenzer Seebühne, während ich, den Lichterfluten der Stadt entronnen, im Auto sitze.

nächtliche Heimfahrt
der große Wagen ist
mein Begleiter


Die neue Normalität

Haibun

Etwas abseits vor dem Geschäft den Mund- Nasenschutz überstreifen. Die Brille beschlägt. Ich drücke den dünnen Draht fester über den Nasenrücken. So geht es.

den Durchblick finden
Verschwörungstheoretiker
haben Hochkonjunktur

Nur nicht beirren lassen. Ich fische eine passende Münze aus dem Portemonnaie und schaue mich um.

Alu-Hüte – in der Szene
der letzte Schrei

Die Desinfektionsstation direkt neben den angeketteten Wagen. Vom Parkplatz nähern sich die, die ihre Einkäufe bereits im Auto verstaut haben. Wer kommt jetzt zum Zug?

in der Bibel steht
„Liebe deinen Nächsten
wie dich selbst“

Geschafft! Im Laden ist jeder Gang besetzt. Wer darauf wartet, durch einen freien schieben zu können, hält den Verkehr auf.

hier ist sich jeder selbst
der Nächste

Vor der Kasse Stau. Allerdings mit gebührendem Abstand. Zwischen Kühlregal auf der einen und Plätzchen, Pralinen und Schokolade auf der anderen Seite.

„I want to fly away“
aus dem Ladenlautsprecher
singt Lenny Kravitz

Endlich wieder draußen! Den Wagen anschließen, niemand steht im Weg. Die Hände noch einmal desinfizieren und ich kann mich auf den Rückweg machen.

daheim – im Birnbaum
zwitschert die Amsel

***

im fremden Bett
das Nachrauschen auf einer
anderen Frequenz


die alten Karten
neu gemischt
mein Enkelkind


Nachtfahrt
im Stau mit meinen
Gespenstern


Mutters Stimme
sie legt den Fingeri
n alte Wunden


leergefegt
der Himmel – nichts worüber
wir sprechen könnten


Regentag
das letzte Puzzleteil
bleibt verschwunden

der Koto lauschen
meine Augen auf der Suche
nach der Melodie


Vogelschrei
der Tag schüttelt die Dunkelheit
aus den Federn


nach fünfzig Jahren
etwas die Form verloren
das Baumrindenherz


Goldene Hochzeit
das Porzellan auf dem Tisch
makellos


schlaflos
das Haus flüstert
mit dem Wind


sounds of silence
weit geöffnet die Tür
zur Karaoke-Bar


auf dem Weg zum Date
schnell noch einen Strauß pflücken
im fremden Garten


davongehuscht
die Schritte der
Nachtschwester


Nachtvorstellung
der Kopf spult
alte Filme ab


weit nach Mitternacht
bei der alten Nachbarin
immer noch Licht
auf meinem Tisch
die Beileidskarte

Daumen im Mund und
sichtlich schlecht gelaunt
die Kleine im Buggy
der Vater schob sie vorbei
an der Eisdiele

Impressum

Alle Rechte liegen bei der Autorin
Brigitte ten Brink
geboren 1949 im Emsland
heimisch seit 1979 in Konstanz



brigitte.tenbrink@gmx.de

Web-Gestaltung dieser Präsenz: Gabriele Hartmann, bon-say-verlag

Fähigkeiten

Gepostet am

16. August 2020