Volker Friebel, Autorenseite

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Friebel Cover weiter Schwung

Autorenseite Volker Friebel

Weiter Schwung

Edition Blaue Felder, Tübingen, 2020



Haiku

Alle Haiku wurden zwischen Anfang 2001 und Ende 2003 erstmals notiert, sie entstammen dem Buch „Nachricht von den Wolken. 2. Ausgabe“ (erschienen 2009).

Schneewald.
Ein Insekt
fliegt durch den Sonnenstrahl.

Ein Schuss durch den Wald.
Der Schnee hört
zu fallen nicht auf.

Holunderbüsche –
am alten Bombenkrater
ihr süßer Duft.

Wo Halme wogten,
nun sechzehn Ballen Heu.
Die Grillen zirpen.

Über Bergen
erhebt sich der Mond. Motoren,
schon weit zurück.

Das Kind hält die Hand
in den Brunnenstrahl,
lacht.

Novemberabend.
Zwischen Seilen der Schaukel
blitzt Engelshaar.

Dämmerung,
Blick ins Zugfenster – plötzlich
seh ich mich selbst.

Schafe im Schnee,
der schmilzt, mit jedem
Bissen.

Die Klosterglocke.
Der Schnee hört
zu funkeln nicht auf.

Nach Geschäftsschluss:
Am Plattenladen
dem Straßenmusiker lauschen.

Der Marienkäfer
am Ende des Grashalms –
die Flügel breiten …

Ausbrechen,
die Langsamkeit
der Apfelknospen.

Zwischen ersten Spitzen
des Weizens
eine Bäckertüte.

Nach dem Pflügen
Steine
am Licht.

Einander umkreisen:
Blütenblätter
und Staub.

Altglascontainer.
Ein Kind hebt das andere hoch,
lässt es einwerfen.

Regennasse Dachziegel.
Der Schatten
des Krähenflugs.

Am Bergpfad stehen,
warten,
während die Stille wächst.

Jemand tritt
in den Kahn. Der Fluss
schwankt.

Weitergewandert
der Schatten, nun sitz ich
im Licht.

Am Ende des Wegs
das Kloster. Noch weiter:
Bäume.

Im Klostergarten
durchs Labyrinth – der Weg schon gefunden
vom Schnee.

Frühlingswogen.
Am Krückstock hinaus,
im Rock von damals …

Im schaukelnden Kahn
ein Liebespaar – Wellenkreise
ringsum.

Blütenstaubteppich.
Hinter dem Stocherkahn
eine Spur Klarheit.

Gewitterschwüle.
Wandernd vom Schmetterlingsflügel
gestreift.

Eine Schaukel
im Apfelbaum – ringsum
Fallobst.

Spazierstöcke,
in die Erde gestemmt: Zwei Männer
starren sich an.

Letzte Blätter
im Ahorn. Jemand übt
Schlagzeug.

Am Hölderlinturm.
Ein Ruder taucht tief
in den Himmel.



Kettengedichte


Und wieder warten
auf das Gesumm der Bienen
Krokus und Hasel.

Der Imker steht auf dem Feld,
reibt die Nase sich, lächelt.

Eva-Maria Vasiljevic (1919-2014) / Volker Friebel
Entstanden 1992



Lange Schatten.
Einen Apfel lesen von dort
wo schon Licht liegt.

Drüben vom Berg
ertönen Jagdhörner.

Volker Friebel / Claudia Brefeld
Entstanden 2009



Ziehender Nebel –
im Fluss der weite Schwung
eines Anglers

aus der Stille
gleiten Kähne

Volker Friebel / Claudia Brefeld
Entstanden 2009



mit ihren Lippen
spitzt Mutter den Faden an
Lampenschein

mondlose Nacht – mein Erschrecken
beim Flackern des Sterns

Gabriele Hartmann / Volker Friebel
Aus: vollendet – Sechs Tan-Renga von Volker Friebel & Gabriele Hartmann (2019)



Tangoschritte
hinter der Jalousie
alte Augen

die Musik endet nicht
als er geht

Gabriele Hartmann / Volker Friebel
Aus: Heilige Quelle – Sechs Tan-Renga von Volker Friebel & Gabriele Hartmann (2019)



Haiga

Friebel Flamingos
Flamingos trinken
vom Rot.
Sonnenaufgang.
Friebel den Weiher im Wald
Den Weiher im Wald
bewachen Schwertlilien.
Ein Frosch flieht.
Friebel Andacht der Wolken
Andacht der Wolken.
Ein alter Mann legt seine
Gebetsbänder ab.
Friebel Die blaue Blume
Die Blaue Blume,
langsam vergehend, hinein in
den Stein.



Lyrik

Aus: Volker Friebel (2019): Manchmal Tau. Lyrik und Haiku. Edition Blaue Felder, Tübingen.


Schleifspur

Singend ziehen die Holzfäller
Balken und Stühle aus dem Forst,
Regale und Bücher,
lassen Sägespäne zurück
und gebrochene Zweige
und eine Schleifspur, so breit
wie der Weg, die ist der Weg,
der sollst du folgen,
bis in das Rauschen der See.

Ich will ein Mast sein,
unter den Sternen,
den Mond als Segel.
Ich will fahren, fahren,
ins Ungewisse,
immer weiter,
über die Kante der Welt.


Schlehengehölz

An fahlen Halmen blitzt Elfenhaar.
Die Spuren der Winzer sind Wildnis geworden,
ihr Leben ist eingegangen ins Schlehengehölz,
wo die Meisenstimme das Dickicht
schon färbt, wo der Schmetterling
die braune Erde beflügelt.

Meine Seele will im Abend vergehen,
vielleicht dass all ihre Schmerzen sich klären,
den Winter durch, und dann aufsteigen
im Holz und Triebe geben, ein Blatt,
das sich im Sonnenlicht wiegt, eine Blüte,
ein wilder Apfel, den der rastende Wanderer löst,
seinen Durst zu löschen am Abhang,
wo er ins Dämmern schaut
und das Schweigen
zu klingen beginnt.


Apfelbaum an der Säge

Hügelketten im Dunst, im wechselnden Licht,
den Tag durch, den Mondlauf, das gewaltig rollende Jahr …
Der Pflug des Bauern wirft Schollen,
Keime murmeln, Sprosse brechen ins Offene,
da wiegt schon ein goldenes Feld, und Staub treibt
hinter dem Mähdrescher, Spreu fliegt im Wind …
Ein Pferd, das über die Wiese springt, den Kopf wirft,
wiehert … Ein alter Mann am Stock, der schlurft
übers früh gefallene Laub … Ein Kran schwenkt im Dorf,
durchs Hämmern die Rufe des Zimmermanns …
Und ziehende Wolken. Und Grillenzirpen …
Und strömender Regen … Nass tropft von Blatt
zu Blatt, wo es rein macht, weiter ins Gras
und noch zu den Wurzeln, ins Flüstern …
Ein Haufen Laub unter mir, zusammengerecht …
Mit jedem Blatt fällt auch ein Stück vom Leben …
Und wieder der Wind, der im liegen gebliebenen Buch
die Seiten umblättert … Mit blauer Schürze
liest eine Frau die Wiese auf … ihr Weidenkorb,
die zugebundenen Säcke, Männer schleifen sie fort …
Ein Zaun gezogen, Fliegen schwirren
um die großen Augen des Schimmels … Reif auf
dem Stacheldraht, später dann Schnee,
noch später ein Funkeln in jedem Tropfen,
in allen Farben des Lichtes … Holzscheite vom Nachbarn
am Wegrand … Am Himmel aber zunehmend Donnern,
silberne Pfeile – und blasser werdende Sterne …
Ein spätes Paar, Hand in Hand … Flocken tanzen
durchs kahle Geäst. Und immer noch Sterne …
So vieles wollt ich, so vieles liegt verstreut nun
über den Weg, wie Laub, wie Blüten … Wer nimmt sie,
wer bläst sie weiter, in die Zukunft hinein?

Durcheinander geworfen die Zeit, ein paar Sekunden
bleiben vom Leben, wenn die Säge jetzt ansetzt,
und ich weiß nicht, warum, und ich weiß nicht,
wohin mein Leben noch dauert,
vielleicht in den Wind, in die Wolken,
in die sich tiefer verschleiernden Sterne,
vielleicht ins Knistern der Scheite im Feuer
eines Landhauskamins, an dem die Alte
mit ihren Enkeln hockt, im Winter, ein Buch aufschlägt,
mit zittrigen Fingern die Stelle findet
und weiter vom Märchen
des Lebens liest.



Impressum

Alle Rechte dieser Sammlung liegen beim Autor:

Volker Friebel
Denzenbergstraße 29
72074 Tübingen (Deutschland)

www.Volker-Friebel.de

Die Rechte von Co-Autoren der Tan-Renga liegen bei diesen bzw. bei ihren Rechtsnachfolgern.

Die Sammlung wurde erstellt am Sonntag, 19. Juli 2020.



Zum Autor

Erstes Blinzeln ins Licht an einem Schneesonntag im Jahre 1956 mitten in Schwaben. Erst als Indianer, später als Elektrikergeselle, promovierter Psychologe, Musiker und Dichter unterwegs durch die Zeiten.
Lebt in Tübingen als Schriftsteller, Ausbildungsleiter, Musiker, Bildermacher. Haiku entstehen seit Januar 1980 und füllen viele Bände. Außerdem zahlreiche Sach-, Fach- und Materialienbücher, meist zu Themen aus Psychologie, Pädagogik und Gesundheit, sowie Veröffentlichungen literarischer Natur.
Gründer und Verwalter von Haiku heute. 2005-2013 Schriftführer der Deutschen Haiku-Gesellschaft (DHG).

Volker Friebel
Volker Friebel

Web-Gestaltung dieser Präsenz: Gabriele Hartmann, bon-say-verlag

Fähigkeiten

Gepostet am

19. Juli 2020