Thomas-Berger-Literaturpreis 2023

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TBLP 2023

Gabriele Hartmann wurde am 21. September 2023 der Thomas-Berger-Literaturpreis verliehen.

Am 29. Oktober 2923 erfolgte in Anwesenheit von 35 Gästen die Übergabe im Rahmen eines Festakts im Hause Hartmann.

LAUDATIO zur Verleihung des Thomas-Berger-Literaturpreises 2023
an GABRIELE HARTMANN

Meine Damen und Herren, verehrte Gäste, liebe Gabriele,

das Jahr 2023 steht für die Hauptperson dieses Tages unter einem guten Stern: Neben der heutigen Preisverleihung an Gabriele Hartmann können wir auch das 10-jährige Bestehen ihres Verlages, des hier in Höchstenbach im Westerwald ansässigen bon-say-verlages, feiern. Und dann gibt es da noch ein nicht unwichtiges drittes Ereignis, das dieses Jahr ziert: Es hat seine Wurzeln im Jahre 2006, als Georges Hartmann als Vorsitzender der Deutschen Haiku-Gesellschaft einen Mitgliedsantrag bearbeitete, und zwar den von Gabriele – ja, und daraus wurde dann 2013 jenes Ereignis, das sich heuer zum 10. Mal jährt: Gabrieles und Georges 10. Hochzeitstag! Wir haben also gleich dreifachen Grund, heute in dieser Runde froh zu sein.

Und für mich ist das heutige Verweilen im Haus von Gabriele und Georges Hartmann auch noch aus einem anderen Grund eine Freude. Vor ziemlich genau dreizehn Jahren erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Artikel „17 Silben müssen es sein“. Die Einleitung des Artikels über Georges und mich: „Ein Zöllner, der die Deutsche Haiku-Gesellschaft leitet, und ein Lateinlehrer, der die Ferien mit Dichten verbringt – die japanische Gedichtform begeistert jeden Fan anders.“ 1 Wer hätte damals gedacht, dass wir, Georges und ich, uns dreizehn Jahre später zum Festakt für Gabriele im Westerwald begegnen?

Das Zusammentreffen der Vergabe des Literaturpreises an Gabriele Hartmann und des Verlagsjubiläums und der Festakt heute bei ihrem Atelier sind bereits ein Hinweis auf die Vielfalt der künstlerischen Aktivitäten der Preisträgerin: Sie „balanciert“, wie es in der jüngsten Ausgabe von „artem“, des Magazins für zeitgenössische Kunst, heißt, zwischen Sprache & Bild 2 – 1995 gründete Gabriele Hartmann, geborene Reinhard, das erwähnte eigene Atelier, das sich ebenfalls in Höchstenbach befindet, und seit 2013 sind im eigenen bon-say-Verlag mehr als 140 Bücher, eigene Werke und Gemeinschaftsarbeiten, und zahlreiche Non-Book-Artikel erschienen. Zum 1. Mal erschien der Verlagsname auf ihren beiden Publikationen mit den Titeln „schwarz“ und „immer noch“.
Im Atelier Ober der Jagdwiese lassen sich in der ständigen Ausstellung Landschaft, Architektur, Flora, Stillleben, Akt, Portrait und Tierportrait sowie abstrahierte Themen bestaunen. Vielfältig sind auch die von der Malerin verwendeten Techniken: Bilder in Öl auf Leinwand oder Sand, Acrylbilder, Aquarelle, Pastellmalerei, Zeichnungen, Collagen, Übermalungen und Specksteinarbeiten.
Und als sei dieser Reichtum an künstlerischer Kreativität nicht genug, ist Gabriele Hartmann auch als Autorin erfolgreich tätig. Eine breite Palette von Veröffentlichungen eigener Werke ist in den vergangenen Jahren entstanden. Wie der Verlagsname bon-say erkennen lässt, liegt der Schwerpunkt ihres unermüdlichen literarischen Wirkens auf Formen der japanischen Lyrik. So verfasst sie Haiku, Senryu, Tan-Renga, Renhai, Rengay, Haiga und Haibun. Für nähere Auskünfte zu diesen Gedichtformen steht die stets dialogbereite Schriftstellerin auch hier und heute sicher gern zur Verfügung. 

Zuletzt erschienen von ihr die beiden Bände abgegriffen (2023, Haiku) und auf Zehenspitzen (2022). Eine kleine Kostprobe aus abgegriffen:

Zugvögel
ich schiebe meinen Koffer
in den Wind 3

Zu auf Zehenspitzen mit der Genrebezeichnung „Foto-Haibun“ schreibt die Verfasserin, zu deren Leidenschaft auch das Fotografieren gehört: „Was steht im Vordergrund: Foto? Haiku? Haibun? Die Komponenten meiner Haiga – bestehend aus Foto und Haiku – habe ich wieder voneinander gelöst, diese Einzelteile mit Haibun – die sich zusammensetzen aus Kurzprosa und Haiku – kombiniert und nun entfalten sich alltägliche Geschehnisse zu ganz und gar nicht alltäglichen Momentaufnahmen. Die Fotos erscheinen in Farbe und Ausdruck reduziert, verfremdet und erinnern doch mit Licht und Schatten an das, was uns bewegt.“ 4
„zwischen Sprache & Bild“ – auf ihrer Homepage fasst Gabriele Hartmann ihre beiden Hauptarbeitsgebiete Malerei und Schreiben in die Worte: „Künstlerisches Schaffen ist für mich Ausdruck in Farbe, Form und Wort!“

Ich kenne die im pfälzischen Zweibrücken geborene vielseitige Künstlerin von ihrer Buchveröffentlichung im ehemals in Frankfurt, seit zwei Jahren in der Nähe von Kassel ansässigen Verlag edition federleicht – einem der Verlage, in denen auch ich veröffentliche. Dort erschien 2018 in gemeinsamer Arbeit mit Brigitte ten Brink, der am Bodensee lebenden Autorin und Fotografin, das Buch: Knoten im Kopf … mit der Gattungsbezeichnung „Doppel-Rengay und Tan-Renga“. Ein Kettengedicht der beiden Autorinnen daraus:

Belcanto
wenn die Zeit doch einfach
still stünde …

aus seinen Händen
rieselt Sand

BtB / GH

Sie merken, meine Damen und Herren, verehrte Gäste, ich enthalte mich bei den Gedichtbeispielen einer Deutung, obwohl die Texte geradezu danach verlangen. Dies geschieht, um deutlich zu machen, dass es Gabriele Hartmann genau darauf ankommt: Sie begreift ihre literarischen Gebilde nicht als abgeschlossen, sondern möchte gleichsam in einen Dialog mit den Lesern treten, möchte, dass sie ihre Impulse aufgreifen und gemäß ihrer persönlichen Individualität fortführen. Die Redakteurin Nadja Hoffmann-Heidrich greift in ihrer Besprechung des 2021 erschienenen und durch ein 10 Seiten umfassendes Leporello ergänzten Buches ZENtrifugal eine entsprechende Äußerung Gabriele Hartmanns auf: „Ich öffne ein Fenster, der Leser entwickelt das dann weiter.“ 5
Diese Wortwahl erinnert mich an das, was der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber einmal ganz ähnlich ausdrückte: „Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus. Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch.“ 6

Geöffnete Fenster, Gespräche führen, im Austausch bleiben – diese Wendungen skizzieren, wie ich finde, sehr treffend das Anliegen der Malerin und Autorin, Fotografin und Verlegerin Gabriele Hartmann. Wer hätte gedacht, dass eine Finanzbeamtin eine derartige Fülle an kreativen Ideen künstlerisch umzusetzen und zahlreiche Kunstausstellungen, Messeveranstaltungen und Lesungen durchzuführen vermag! Allein im Jahr 2023 zähle ich fast zwanzig Veranstaltungen von ihr. Auch in der Schweiz, im Landesmuseum Winterthur, war sie vertreten.

Da wundert es nicht, dass Gabriele Hartmann, Mitglied im Kunstforum Westerwald  und in der Deutschen Haiku-Gesellschaft, bereits zwei Projektstipendien der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur erhalten hat und eine vielfach preisgekrönte Autorin ist – die Liste ihrer Auszeichnungen reicht vom Preis des Poetenwettstreits 2001 auf Burg Reichenstein über vier Preise der Bibliothek des deutschsprachigen Gedichtes und den Preis der Lektoratsagentur Marburg bis hin zum Preis des Schreibwettbewerbs von Vital & Wiltmann 2017 und dem Literatur-Wettbewerb des Verbandes Katholischer Schriftsteller Österreichs 2019. Ganz neu ist der Haiku-Heute-Preis 2023, der ihr aus der großen Zahl von 196 Haiku am 2. Oktober zugesprochen wurde.
Es ist mir eine Ehre, mit dem Thomas-Berger-Literaturpreis der langen Reihe ihrer Preise einen weiteren hinzufügen zu dürfen. Als ich 2019 den Preis ins Leben rief, der nun zum 5. Mal vergeben wird, war die Erfahrung mit den Auszeichnungen, die ich selber erhalten hatte, maßgebend: Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn das, was jemandem künstlerisch am Herzen liegt, Anerkennung findet. Dieses beglückende Gefühl, von dem man gar nicht genug bekommen kann, auch anderen zu vermitteln, denen das Schreiben ein existentielles Bedürfnis ist, bleibt mein Anliegen als Stifter.

Ich gratuliere Dir, liebe Gabriele, ganz herzlich zu Deinem bewundernswerten schöpferischen Engagement und darf Dir nun die Urkunde, das Preisgeld und den Text der Laudatio überreichen.

Vielen Dank!

Thomas Berger
29. Oktober 2023

1 Friederike Haupt, 17 Silben müssen es sein. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. August 2010, Nr. 184, S. 37.

2 Ausgabe 5 / 2023, S. 20

3 S. 123

4 https://bon-say.de/project/auf-zehenspitzen/

5 Nadja Hoffmann-Heidrich, Feine Poetik irritiert durch viele Wendungen“, in: Westerwälder Zeitung vom 5. Juni 2021

6 Martin Buber, Werke I, 1962: Schriften zur Philosophie, S. 1114

Fähigkeiten

Gepostet am

21. September 2023