23_cover_tanzen
„tanZEN„, Gabriele Hartmann, ein Künstlerbuch
A4 quer, 50 unterschiedlich große, farbige, von Hand gestaltete Seiten, 2016, limitierte, nummerierte und signierte Auflage (10 Stück), in einer Mappe.

Rezension Rüdiger Jung

Als der Japonismus die Haiku-Dichtung ein erstes Mal nach Europa spülte, waren der Jugendstil und die Idee vom Gesamtkunstwerk nicht mehr fern

Gesamtkunstwerk: eine Verlockung für einen Menschen, der das Wort Kunst gleich zweimal buchstabiert: einmal auf bildnerische, einmal auf literarisch poetische Weise. Wenn ich bei tanZEN von Gabriele Hartmann von einem Kleinod spreche, beiße ich mir sogleich auf die Lippen, weil ich dieses Wort nie mehr inflationär gebrauchen mochte. Denn was einzigartig ist, sollte auch als einzigartig benannt werden und bleiben. Gesamtkunstwerk? Fragen wir das Impressum

  2016AquarellpapierBuchschrauben
      CollagenEckenFotografienvon
      GeorgesHartmannallesandereist
      vonGabriele!gedrucktgefaltet
      geheftetgeklebtgeknicktgelocht
      gemaltFarbeFolieFotopapier
      Gendaigerissengeschnitten
      geschriebengestanztgetackert
      HaibunHaigaHaikuHandarbeit
      KantenKartonkopiertKünstlerbuch
      limitiertLöchernonpermanent
      nummeriertoffenOriginal
      PackpapierPapierpermanent
      ServiettensigniertTankaTonpapier
      TransparentpapierTrennblätter
      u.v.m.verborgenZE

Ich lese „tan“ und denke an Tan-Renga – solche, die man zu zweit verfasst. Also nicht das „Klatschen mit einer Hand“, das in der Paradoxie eines Koan einem Gedichtband Dietrich Krusches den Titel lieferte. Womit auch schon „ZEN“ angesprochen wäre, der Hintergrund der Haiku-Dichtung in Kultur und Weltanschauung des Fernen Ostens

Platz für Zwei, also für die Liebe und auch für die Eifersucht

      Hahnenschrei
      ich will dich – ich will dich nicht
      wecken

      antworte nicht
      Wind, wenn ich dich frage
      wen er jetzt küsst

Die Schwierigkeit der Liebe in Zeiten des Krieges wird literarisch benannt:

      Feldpost
      das Eigentliche
      geschwärzt

und für den Betrachter künstlerisch kongenial umgesetzt, in dem die Technik der Heereszensur genau ins Bild gesetzt wird.

      gute Vorsätze?
      die fasse ich
      morgen

lautet das denkbar überzeugendste Neujahrs-Haiku, von Georges mit einem abgründig köstlichen Foto hinterlegt

      warumsoschnellichmeinmeinlebe

heißt die Vergänglichkeitsklage in ihrer gedrängtesten (Gendai-) Form, die nicht einmal mehr die einmalig betätigte Leertaste zwischen den Wörtern zulässt. Atemlos – erst recht – gerät der Urgrund des Staunens und mithin aller Philosophie, am Ende des Bandes daheim in der unermesslichen Weite zwischen Anselm von Canterburys ontologischen Gottesbeweisen und der Konkreten Poesie.

      warumnichtnichts
      warumnichtnichts
      warumnichtnichts
      warumnichtnichts
      warumnichtnichts
      warumnichtnichts
      warumnichtnichts
      warumnichtnichts
      warumnichtnichts

Das Schwere leicht zu sagen, ist die besondere Gabe Gabriele Hartmanns. Wer sonst fände eine derart griffige Formel für das Anthropozän, unser Zeitalter, in dem der Mensch (beileibe nicht nur zum Guten!) die Welt gestaltet:

      Ursuppe einer würzt nach

Geradezu zwingend, dass dieser Satz in seiner graphischen Gestaltung einen Schatten wirft.

Rüdiger Jung

Fähigkeiten

Gepostet am

2. Juni 2016