„in formation“, Lyrik aus 15 Jahren, Gabriele Hartmann
Softcover, A5, 132 Seiten, 2014, ISBN 978-3-945890-04-2
Ralph Günther Mohnnau schreibt:
„… habe ich den Gedichtband „in formation“ für eine Woche zu meinem Kopfkissenbuch erwählt und darin eine Reihe wirklich sehr beeindruckender Trouvailles entdeckt … besonders das Gedicht „Solange“ beeindruckt, nicht nur des Inhalts wegen, sondern auch weil in meinen Pariser Tagen eine Freundin diesen Namen hatte. Im übrigen beeindruckt … bei dem ganzen Werk die Vielfalt der Stile, der Versformen, der Themen und Bilder. Ja, da wurde etwas Anspruchsvolles kreiert.“
Ralph Günther Mohnnau
Rezension Rüdiger Jung
Wer immer Gabriele Hartmann bislang “nur” als „Autorin von Kurz- und Partnergedichten nach japanischem Vorbild kennt, dem sei gesagt: es lohnt sich, die Lyrikerin zu entdecken! Auch und nicht zuletzt‚ um auf eine herrliche moderne Ballade zu stoßen. Modern, weil ganz und gar im Alltag von heute angesiedelt. Ballade, weil die Form restlos gekonnt und ganz und gar stimmig ist (Seite 11):
die zwei Enden
zwei Bauarbeiter saßen stumm
in ihrer Frühstückspause
sie kauten auf ’ner Fleischwurst rum
und tranken eine Brause
der Fleischwurststücke waren’s zwei
die schließlich noch dort lagen
keinem warn sie einerlei
doch keiner wollte fragen
der Lehrling brachte endlich vor
ob eins denn noch für ihn bestimmt
der Meister dachte so ein Tor
sicher dass der das Kleine nimmt
der Lehrling nahm den großen Zipfel
und biss mit Lust hineine
der Meister rief empört: der Gipfel
man nimmt sich doch das Kleine
darauf der Lehrling schließlich noch
wat willste denn dat haste doch
Der Zungenschlag des Lehrlings vermag den ebenso verblüffenden wie einleuchtenden Schluss noch zu unterstreichen. Pointierte Schlüsse balladesker Verse sind ohnehin eine große Stärke Gabriele Hartmanns. Etwa, wenn der Gedichttitel „glücklich verlobt“ sich als Illusion erweist und am Ende bitter-genüsslich in seine Einzelteile zerlegt wird (Seite 15):
nicht ganz sagt
grübelnd sie und meint
du warst wohl glücklich, ich verlobt wie’s scheint
Und plötzlich bricht sie hervor aus dem „ver-“ von „verlobt“: die Vergeblichkeit! Rabenschwarzer Humor wagt sich am Ende von „die Rache“ an eine neue Etymologie des „Schreibtischtäters“ (Seite 17):
die Frau zankt
unbekümmert weiter
der Mann notierts für später
und bleibt dabei ganz heiter
er ist ein … Schreibtischtäter
Zum „Untier“ wird der Mensch, wenn enttäuschte Liebe sich sechs(!)-mal in tierische Bilder kleidet, um in der Phantasie die reinsten Mordgelüste auszuleben. Ausgerechnet die Selbsterkenntnis mündet – wie eine Steigerung – in den Eros (Seite 16):
ich kann die‚Mordlust
in mir spüren
ich glaub – ich werd’ den Hengst verführen
Im Einzelfall lebt das Gedicht nur von der Kraft seines pointierten Schlusses, etwa im Fall von „später“:
Taten mögen still
geschehen
ob Helfer oder Täter
beide handeln ungesehen
Dank und Strafe später
Moralistin ganz und gar nimmt Gabriele Hartmann unter dem euphemistisch intonierten Titel „mein lieber Freund“ die Treulosigkeit aufs Korn (Seite 24):
ich schwöre dir mein
lieber Freund
es ist nicht so – wenn’s auch so scheint
einmal hab ich sie nur gesehn
und damals ist auch nichts geschehn
das musst du mir nun wirklich glauben
niemals würd einem Freund die Frau ich rauben
darauf hast du mein Ehrenwort
sag: fährst du in Kürze wieder fort?
Wer immer dieser Stimme bis zur Schlusszeile Glauben schenkt – spätestens in der abschließenden Frage entlarvt sie sich selbst. Untreue schlägt keineswegs nur den eigenen Herrn (Seite 84):
wir tanzten einst auf
seidenem Haar
doch dessen Tragkraft war gering
und nicht eine deiner Lügen wahr
als der Sommer ging
Larmoyanz indessen ist nicht Sache der Autorin. Die einzige Drehschnaube deines Lebens, an der du etwas vermagst‚ bist du selbst (Seite 56):
du sitzt in deinem
Elfenbeinturm
hast die Leitern hinter dir
hochgezogen
und wunderst dich
dass keiner dich
besuchen kommt
Abschließend ein Gedicht, das dafür einstehen mag, dass Gabriele Hartmann alle graphischen wie kompositorischen Gestaltungsmittel der Dichtung formvollendet und stilbewusst zu nutzen weis (Seite 113):
Flugzeug am Himmel
Sommer
Sonne
Strand
Sehnsucht
Flugzeuge im Bauch
Hummeln in der Luft
Freunde
Lachen
Musik
Glück
Hummeln im Hintern
Flugzeuge im Bauch
Heimweh
Abschied
und Rückreise
Flugzeuge am Himmel
Rüdiger Jung