„etwas Gelbes“
Gabriele Hartmann, ein Haibun und Fotos,
in der Aufmachung zweier Künstlerbücher,
18 Seiten, 2017. Hrsg. Ralph Günther Mohnnau, Verlag „Edition alpha sieben“, Sulzbach
Die Künstlerbücher „etwas Gelbes“ können Sie als von der Autorin handsignierte Ausgabe auch im bon-say-verlag bestellen.
Herausgegeben von Ralph Günther Mohnnau, Frankfurt am Main
Grafische Zeichen und Harfe Kasia Lewandowska.
Text-Selektion und Gestaltung Atelier alpha sieben, Sulzbach.
Auflage je 24 Exemplare, nummeriert und signiert von der Autorin.
18 Seiten, 35 x 45 cm, im Acryl-Umschlag, alle Seiten lose in handgeschöpftem Seidelbast-Papier liegend.
Verlag Edition alpha sieben, Sulzbach
Thorsten Ladda, Rezension des Künstlerbuchs
Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau?
Die Farben leuchten, fließen, überlagern sich, es muss ein heißer Tag gewesen sein. Dem Betrachter eröffnet jede Seite des Künstlerbuchs einen Augenblick, flüchtig und fixiert zugleich. Die glatten Seiten mit den rechteckigen Bildformaten und den geradlinigen Buchstaben bilden einen irritierenden Kontrast zum leicht ausgefransten, gelblichen Büttenpapier, das so herrlich rauscht beim Umblättern der Seiten. Die Fotos verfremdet, mit gerissenen Kanten, ineinander kopierten Farben, gestempelten Konturen. Kontraste sind das eigentliche Thema dieses künstlerischen Spiels mit dem Text von Gabriele Hartmann: komplementäre Farben, das Gelb der Sonne, das Blau des Wassers, hell und dunkel, gerade und schief, groß und klein, nah und fern, weit und eng. Die herausgehobenen Worte schaffen mit ihrer tanzenden Typografie eine scheinbare Linearität. Doch bleiben die Buchstaben seltsam entrückt, treiben ihr Spiel mit der Lesbarkeit.
Ein Spiel, das dazu einlädt, den Blick schweifen zu lassen, irgendwo in den Süden, ans Wasser, an einem heißen Tag. Bis uns das Rauschen des Papiers zurückholt und Gabriele Hartmanns Haibun die Eindrücke ordnet.
Matthias Budde, Rezension des Fotobuchs
Hat der Leser den schweren Schutzumschlag aus Plexiglas geöffnet, leuchtet ihm unmittelbar ein, was es heißt, ein Buch aufzuschlagen. Zwar haben die 35 cm x 46 cm großen Acrylplatten keine Schließen, beeindrucken aber durch ihr Gewicht. Um ein Buch handelt es sich bei den 18 Din A3 Einzeldrucken in Seidelbastpapier auch nur im weitesten Sinne und so sollte man diese auch betrachten, mit geweiteten Sinnen.
Gabriele Hartmann erzählt von einem Urlaub in Südfrankreich. Kurz, pointiert, verrätselt und verspielt und in der Tradition des japanischen Haibun. Die Erzählerin beobachtet einen Mann, der von einer Brücke aus ein junges Mädchen fotografiert und so zum beobachteten Beobachter wird. Distanz ist das vorherrschende Stilmittel des Textes. Per Zufall, durch ein Verrücken der Kamera erscheint das Mädchen im Display mit ihrem großen gelben Sonnenschirm, überquert den Fluss durch eine Furt und verschwindet durch Gassen und Ecken über Stufen in einer Tür. Umständlich hantiert das Mädchen mit dem Schirm, öffnet und schließt ihn, verdeckt und enthüllt damit abwechselnd ihren Körper oder legt den Schirm wie eine Lanze ein, gegen das Objektiv des Voyeurs, mit dem sie kokett spielt und sich verschämt abwendet. Gabriele Hartmann lässt hier das Lolita-Motiv anklingen. Absichtslos zunächst und voller Unschuld. Das Haiku
Nachmittagssonne
sein Blick treibt
mit dem Strom
fängt die verträumte, gelassene Stimmung ein. Dann macht die Erzählerin mit ihrem Protagonisten einen Zeitsprung von einem Jahr, schafft somit noch mehr Distanz.
Dasselbe Urlaubsziel, er betrachtet die Fotos. Am Zielort auf der Brücke das Gefühl, dass etwas fehlt – etwas Gelbes. Er nimmt denselben Weg wie das Mädchen im Vorjahr. Streift durch die gleichen Gassen, um die gleichen Ecken, nimmt dieselben Stufen. „Eine Tür öffnet sich“, lautet der letzte Satz vor dem abschließenden Haiku. Erhalten von hier aus die an den Anfang des Textes gestellten Worte
fünf
fordert sie
eine Bedeutung? Wird ein Tabubruch angedeutet? Das Werk schließt offen mit dem Haiku:
lächelnd …
in ihrer Hand
der gelbe Schirm
Ein Haibun folgt anderen Formkriterien als eine westliche Prosaskizze und entzieht sich auch deren Interpretationsmustern. Gabriele Hartmann geht in ihren Haiku eigene Wege und richtet ihren Diwan west-fernöstlich aus. Besonders im beigefügten Video-Clip von Wol Müller kann man das Spiel mit den Grundfarben Gelb (Schirm), Rot (Badeanzug), Blau (Wasser) nachempfinden. Gegensätze wie Distanz und Nähe, Beobachtung und Fiktion fallen im Augenblick ineinander. Der Weg führt ins Offene. Zu den Harfenklängen von Kasia Lewandowska leuchten plötzlich Sinnzusammenhänge auf, die sich im nächsten Moment verflüchtigen.
Ein synästhetisches Vergnügen.