Gabriele Hartmann, 22 Tanka zart unterlegt mit dem Coverbild
Heft, Drahtbindung, 14,8 x 14,8 cm, 28 Seiten, 2021,
ISBN 978-3-945890-46-2, 6 €
Die Tanka sind inspiriert duch Holzschnitte von Kiyoshi Hasegawa (im Heft nicht abgebildet).
2 Rezensionen!
Rezension Brigitte ten Brink
Tanka bedeutet „kurzes Lied, kurzes Gedicht“, so heißt es im Nachwort dieses Buches. Was hier zweiundzwanzigmal in fünf Zeilen und maximal 31 Silben niedergeschrieben wurde, sind kleine lyrische Kunstwerke, lebensklug und oft ein wenig melancholisch. Als Inspirationsgrundlage dienten Gabriele Hartmann Holzschnitte des japanischen Künstlers Kiyoshi Hasegawa (1891 bis 1980), die aber in dem Buch nicht abgebildet sind.
In ihren „kurzen Gedichten“ zieht sie nun ihre Schlüsse aus den Betrachtungen, lässt dabei ihre Phantasie spielen und erschafft so sprachliche „Gemälde“, die dem Leser Spielraum bieten, sein Kopfkino in Gang zu setzen und sich seine eigenen Bilder zu schaffen. Gabriele Hartmann verleiht ihrem visuellen Eindruck verbalen Ausdruck, beim Rezipienten dagegen verläuft der Prozess umgekehrt. Die Ergebnisse sind immer herzbewegend. Manchmal optimistisch
der Mensch
zwischen Himmel und Erde
gestutzt
wie jene Ulme
grünt Jahr für Jahr aufs neu
und manchmal von leiser Trauer umflort.
Münzen warfen wir
in die Seine und schworen
wiederzukommen
doch der Strom nahm sie mit
seine Küsse und ihn
Die Sprache ihrer Tanka, der Rhythmus der Worte lassen beim Lesen Schwingungen entstehen, die in den Bann ziehen, nicht loslassen und einen tiefen Nachhall erzeugen. Jedes Tanka zwingt zum Innehalten, dazu, das Gelesene (ein)wirken lassen, es zu absorbieren, um dann die Bedeutung des Geschriebenen in seinem ganzen Ausmaß zu erkennen. Es ist unwahrscheinlich, wieviel Leben in diesen „kurzen Gedichten, kurzen Liedern“ steckt. Ja, diese Tanka sind auch Lieder, Lieder von Liebe, Lieder von Leid, von ein bisschen Glück und von dem, was die Zeit mit den Menschen und aus den Menschen macht.
wie die Rose blüht
und welkt, so welkt
die Zeit und blüht
wie der Sand in der Uhr
bin auch ich – mal oben mal unten
Nun schreibt Gabriele Hartmann nicht nur, sie malt und fotografiert auch und gestaltet ihre Bücher selber. So stammt das Cover des Buches aus ihrer Acryl-Collage „Wellenspiele“. Ein Ausschnitt aus dieser wunderbaren Farbkomposition wiederholt sich in ganz zarten Pastelltönen auf jeder Seite, setzt so einen optischen Akzent und unterstreicht behutsam die Kraft der Worte.
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Rezension Rüdiger Jung
… Das Tanka ist als Gedichtgattung kurz und konzentriert und hat gleichwohl dem Haiku gegenüber, das an-deutet, etwas an-reißt, jenen längeren Atem, der eine Stimmung, eine Atmosphäre ausschwingen lässt. Der Buchtitel ist jener Anmutung von Wehmut und Verletzlichkeit nahe, die der japanischen Poesie seit ihren Anfängen eingeschrieben ist; passend dazu ein Notat der Vergänglichkeit:
wie üppig doch
Blüten borden des Nachts
im Sake-Traum
und wie sie welken
bleich am Morgen (S. 12)
In geradezu biblischer Manier wird der Vergänglichkeit des Menschen aber auch ein zumindest ansatzweise positives Attribut zugesprochen – jenes nämlich der ausgleichenden Gerechtigkeit:
im Schatten von Schloss
und Kirche spielten wir einst
mit den Kindern
der Herrschaft und werden einst
mit ihnen dort begraben (S. 17)
„einst“ – spiegelbildlich am Ende der zweiten wie der zweitletzten Zeile – könnte den Zug der Endlichkeit schon relativieren: indem es zu beidem, zur Vergangenheit (Zeile 2) wie zur Zukunft (Zeile 4) die Verbindung herzustellen vermag. Tatsächlich erschleicht sich in den Texten die zyklische Wahrnehmung der Zeit das Vorrecht gegenüber der linearen:
schließt sich der Kreis
von werden und Vergehen
ums andre Mal
dreh ich die Sanduhr um
und lausch dem Spott der Drossel (S. 6)
Ein Taschenspieler-Trick, den „der Spott der Drossel“ bloß stellt? Nicht unbedingt! Die Autorin jedenfalls bleibt sich treu, indem sie dem möglichen linearen Schluss (“erst oben, dann unten“) den iterativen, zyklischen vorzieht:
wie die Rose blüht
und welkt, so welkt
die Zeit und blüht
wie der Sand in der Uhr
bin auch ich – mal oben, mal unten (S. 16)
Der Chiasmus der ersten drei Zeilen hat den Aufstand, den Tabu-Bruch gegen die dräuende Macht der Sanduhr als barocker Vanitas schon eingeleitet: das leise, winzige „mal“ fordert die Ewigkeit! Ein Hintergrund, der die Resilienz auf S. 18 fassbarer macht:
der Mensch
zwischen Himmel und Erde
gestutzt
wie jene Ulme
grünt Jahr für Jahr aufs neu (S. 22)
Da nimmt es auch nicht mehr Wunder, dass da, wo eigentlich das Kalkül, die Determination die Oberhand hat, plötzlich die Freiheit diese für sich in Anspruch nimmt:
am Ende
kannte ich alle
Bauern und König
und sang nach jedem Glas
ihr Lied von der Freiheit (S. 14)
Wo das Haiku vielleicht einen spröden Kuss zulässt, taugt ein Tanka schon zur innigen Umarmung. Die Liebesgedichte unter den Tanka Gabriele Hartmanns – präzise und genau wie die übrigen Texte – wollte ich nicht missen:
das Universum
in einer Hutschachtel
navigiere ich
durch ein Wurmloch
meine Gedanken zu dir (S. 7)
Das „Wurmloch“ despektierlich zu lesen – im Blick auf den Minimalismus – ginge fehl. Reicht doch die kleine fünfzeilige und in ihrem Ursprung 31-silbige Form vollkommen aus, aller Ambivalenz Raum zu geben:
ich wünschte mir
die Sterne vom Himmel
holte sie dir herab …
langsam wird es eng
in meinem Schneckenhaus (S. 10)
Rüdiger Jung