„Sterne“, Gabriele Hartmann, Haiku aus 2013
Ringbindung, A6 quer, 73 Seiten
Doppelbuch mit „Staub“, 2014, ISBN 978-3-945890-11-0
„Staub“, Gabriele Hartmann, Haiku aus 2012
Ringbindung, A6 quer, 39 Seiten
Doppelbuch mit „Sterne“, 2014, ISBN 978-3-945890-11-0
Rezension „Sterne und Staub“ Rüdiger Jung
Der römische Gott Janus – Namengeber des ersten Monats in unserem Kalenderjahr – hat zwei Gesichter. Ein Umstand, den Gabriele Hartmann als Stilprinzip nutzt. Beginne ich die Lektüre ihres neuen Buches auf der einen Seite, eröffnen sich mir unter dem Titel „Staub“ ihre gesammelten Haiku des Jahres 2012. Nehme ich die andere Seite, geht mein Blick in die „Sterne“, das Pendant aus dem Jahr 2013, dem im weiteren Verlauf dieser Rezension unsere besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden soll. Auf römische Götter stoßen wir abermals:
Mikado
Mars und Venus
in Opposition
Erst einmal lesen wir da die Namen der Nachbarplaneten „unserer“ Erde, verknüpft durch den astrologischen Terminus der „Opposition“. Im antiken Mythos stehen Mars und Venus für beides: den größten Gegensatz und – die größte Anziehungskraft. Mars (griech. Ares), der Gott des Krieges – Venus (griech. Aphrodite), die Göttin der Schönheit. Wenn man so will, das Traum- (und Skandal-)paar des antiken Pantheons. Und folglich ein Mikado, bei dem es nicht nur spielerisch, sondern heiß hergehen dürfte.
Das Leben ist kein Kinderspiel, die Haiku-Dichtung auch nicht:
schwarze Kätzchen
die Kinder spielen
Beerdigung
Wer immer jetzt den Zeigefinger erhebt, stelle sich bitteschön auch der ausgewachsenen Ambivalenz:
Valentinstag
ihr Lieblingsfisch – sie benutzt
ein stumpfes Messer
Valentine’s Day
her favorite fish – she uses
a blunt knife
Neben Deutsch und Englisch begegnet in dem polyglotten Band als dritte Sprache das Französische. Universal verständlich auch die im Folgenden beschriebene Sehnsucht – und ihre Konsequenz:
flirrende Hitze
die Ausweichstrecke nach Norden
überlastet
Freilich: auch die Ausweichmanöver unserer Urlaube sind endlich:
letzter Urlaubstag
die Findlinge
aussortieren
Da Felsbrocken das Gepäck für die Heimkehr entschieden überlasten, nehmen wir die „Findlinge“ wörtlich und erblicken in ihnen doch weit mehr als bloße Souvenirs. Die Frage, was denn nun mit soll nachhause, entfaltet die imaginäre Kraft einer kompletten Lebensbilanz. Apropos Entscheidungen:
Wahlsonntag
ein Hund
gibt seine Stimme ab
Wichtig, die Stimme „abzugeben“ – und trotzdem zu behalten! Hunde zumal Wachhunde! – sind einigermaßen wehrhaft, was auch heißt: wir könnten Einiges von ihnen lernen! Damit auch uns der Weg durch das Raue (sagen wir ruhig: den Staub!) zu den Sternen, per aspera ad astra, gelingen möge!
Rüdiger Jung
Rezension „Staub“ Rüdiger Jung
Vernissage
eine Besucherin studiert
den Fluchtweg
Ein feiner Humor legt uns nahe zu vermuten, dass bei der „Besucherin“ nicht so
sehr Angst als vielmehr ästhetisches Befremden federführend ist. Wahrscheinlich
geladener Gast schließt Gabriele Hartmann recht abrupt die Eröffnung, die die
Ausstellung auch ihr eigentlich hat bieten wollen. Leise Ironie ist am Werk
(die auch vor der Autorin selbst nicht Halt macht), wenn man bedenkt, dass dies
die Zeilen einer begnadeten bildenden Künstlerin sind, deren Ausstellung zu
mancherlei Studium einladen mag – sicher nicht zu dem des Fluchtwegs!
Humoristisch ist schon der Aus- (oder eben doch Ein-) stand zu Beginn:
Silvester
das Umleitungsschild
zeigt zum Mond
Man wird wohl kaum fehlgehen, die Beobachtung dem Schabernack alkoholisierter
Spaßvögel zuzuordnen. Zugleich könnte so ein Science-Fiction-Roman ansetzen bei
einer Erde, die wir unbewohnbar gemacht haben, so dass nur ein eher traumhafter
Fluchtweg bleibt.
Es sind die Rätsel, die Mehrdeutigkeiten, die die Haiku Gabriele Hartmanns so
kostbar machen. Wer wird sich bei
über dem Nebel
das
Schloss Vater
will wissen
wer ich bin
nicht an Kafka erinnert fühlen?
Ukiyo-E
sie lacht
und dann ist es aus
Das muss nicht heißen, dass die Vergänglichkeit jede zwischenmenschliche
Beziehung erbarmungslos regiert. Immerhin hatten die „Bilder der flüchtigen
Welt“, die berühmten klassischen japanischen Farbholzschnitte, durchaus eine
Vorliebe für Kurtisanen was nichts daran ändert, dass die Endlichkeit der Welt,
die uns umgibt, uns zum Don Quixote und zum Sisyphus macht:
Holzwurmlöcher
Großvater studiert
die Zeit
Allzu melancholisch grundiert ist die vorliegende Sammlung gleichwohl nicht. Es
ist ein „tanzender Staub“, von dem der titelgebende Text spricht – ein Staub,
der Brücken und Schneisen schlägt inmitten der Zeit:
im fremden Bach
die Stimmen
von daheim
Rüdiger Jung