Georges Hartmann,
Softcover, Fadenbindung, 12,5 x 19 cm, 72 Seiten, Naturpapier,
ISBN 978-3-945890-43-1, 12 €
Verbrüderung – Gedankenreisen …
Georges Hartmann hat mit dem Frankfurter Haiku-Kreis zwei Japan-Reisen unternommen und die hierbei gewonnenen Eindrücke einem Reisetagebuch anvertraut.
Den Abschnitten ist jeweils ein Haiku von Georges vorangestellt.
Es gibt zwei Rezensionen!
Rezension von Brigitte ten Brink
Japan – das Land der aufgehenden Sonne – war das Ziel zweier Japanreisen, die Georges Hartmann zusammen mit Mitgliedern des Frankfurter Haiku-Kreises unternommen hat. Die aufgehende Sonne ziert demzufolge auch das stimmungsvolle Cover dieses Buches. Es enthält sieben Erzählungen und zehn Haiku, welche unter dem Eindruck der Ereignisse und Erlebnisse dieser Reisen entstanden sind: Haiku-Liebhaber und -kenner aus Deutschland begegnen Haiku-Liebhabern und -kennern im Ursprungsland des Haiku. Angehörige zweier doch sehr unterschiedlicher Kulturkreise in unmittelbarem Kontakt miteinander, das kann schon mal zu Irritationen auf beiden Seiten führen, dem Stoff aus dem diese Geschichten sind. Mit seiner unvergleichlichen (Selbst)Ironie und doch sehr liebevoll und mit großem Einfühlungsvermögen für das Verhalten aller Beteiligten und wohlwissend um die Erwartungen der Gastgeber und der gesellschaftlichen Gepflogenheiten des Gastlandes, beschreibt Georges Hartmann Situationen, die manchmal schon ans Absurde grenzen und prädestiniert für das Treten in ein Fettnäpfchen sind.
Dabei entwickelt er, der sich in der Selbstwahrnehmung einer direkten sprachlichen Konfrontation absolut nicht gewachsen fühlt, eine Wortgewalt, die den Leser atemlos macht.
Wie oft muss der Mond
am Ishi Yama noch aufgehen
bis mir was einfällt?
Mit diesem Haiku beginnt das Buch und die erste Erzählung „Quarzgenaue Perfektion“ knüpft an diesen Stoßseufzer an:
„Wer hilft mir an diesem Morgen bei der Bewältigung des fremdartigen, formuliert in meinem Namen die passenden Sätze für die Gastgeber (Familie Watanabe), damit ich nur noch zustimmend nicken, aber selbst nichts mehr zu sagen brauche?“ (S. 5) Unsagbar seine Erleichterung, als er feststellt, dass er den zu erwartenden Herausforderungen nicht alleine gegenüber steht und er sich seiner „ins Bewusstsein tretenden Menschenscheu“ und der befürchteten „Einsilbigkeit“ (S.5) nicht stellen muss.
Es ist der erste Morgen in der Fremde, kurz vor dem Start des eng getakteten und mitunter doch recht anstrengenden Besuchsprogramms. Auch wenn die Deutschen als ordnungsliebend und pünktlich gelten, in Japan sind die Regeln weitaus strenger: „Der Japaner scheint mit quarzgenauer Perfektion selbst den strapaziösesten Ablaufplan unter allen Umständen einzuhalten.“ (S. 7) und während des Frühstücks „… machen sich zwei Taxifahrer bemerkbar, die uns – auf Kosten des Hausherrn – samt Gepäck zum nächsten Treffpunkt bringen sollen. Das ist genau der bereits beschriebene Zeitpunkt, an dem beim Japaner der Spaß aufhört und er sich zugunsten einer minuziösen Abwicklung dem Diktat der vorgegeben Termine unterwirft.“ (S. 9/10)
Die große Stärke jeder der Geschichten aus diesem Reistagebuch ist Georges Hartmanns Vermögen, sowohl seine Emotionen in Worte zu fassen als auch seiner großen Empathie für die Gefühle und Gepflogenheiten der Gastgeber Ausdruck zu verleihen, z.B. wenn er erstaunt feststellt, dass es plötzlich in der Hektik des Aufbruchs zum nächsten Termin eine Unterbrechung gibt „…weil der Japaner nämlich an der Nahtstelle einer als abgeschlossen geltenden Handlung zur nächsten Begebenheit einen bemerkenswerten Stillstand der Zeit herbeiführt. Das bewusst inszenierte Vakuum ist allein den jetzt anstehenden Verbeugungen, beiderseitigen Wiedersehensbeteuerungen, nochmaligen Verbeugungen, also einem letzten Austausch von Liebenswürdigkeiten gewidmet, …“ (S. 10/11)
Georges Hartmann wäre nicht Georges Hartmann, wenn er nicht konsequent die Ereignisse aus seiner ganz persönlichen Perspektive mit all den Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, die neue und ungewohnte Situationen mit sich bringen, darstellen würde und er sich auch nicht scheut, sich als den Pechvogel des Tages zu outen: „Am Metro-Eingang hakt dann auch noch folgerichtig meine Fahrkarte, wodurch eine Sperrvorrichtung ausgelöst wird und mir zwei gepolsterte Barrieren vor die Knie knallen, was Mieko zu einem ersten Einsatz zwingt, in dem sie am Schalter einen dienstbaren Geist davon zu überzeugen versucht, dass ich kein notorischer Schwarzfahrer sondern eher ein Unglücksrabe bin.“ (S. 42)
Seine Schilderungen lassen beim Lesen Bilder, ja Filme, im Kopf entstehen, die dem Geschehen, wenn westliches Verständnis auf östliche Gepflogenheiten treffen, manchmal etwas Slapstickartiges verleihen. Und doch wird allen Protagonisten, den japanischen wie den deutschen, mit großem Respekt begegnet: „Gleich nach dem Nachtisch lauert auch schon die sich anbahnende Verabschiedung, weil der Japaner kein Pardon kennt, wenn die von ihm eingeplante Zeit abgelaufen ist, was dem Unerfahrenen wie ein Rauswurf vorkommt, in Wirklichkeit aber als Geste der Höflichkeit aufzufassen ist, die Gäste nicht über Gebühr zu strapazieren.“ (S. 67)
Und immer wieder scheint der Zweifel an der eigenen Fähigkeit auf, dem Haiku und seinem literarischen Anspruch gerecht zu werden, der sich auch in der Verweigerung des Schreibens bemerkbar macht: „Beim Zähneputzen die niederschmetternde Erkenntnis der von Erika abverlangten Produktion eines täglichen Haiku, die ich bislang alle schuldig geblieben bin, …“ (S. 37) Und in der Erzählung „Über mir lacht der liebe Gott“ (S. 47) stellt Georges Hartmann ganz lakonisch vor einem sich anbahnenden Kukai fest: „Die Produktion zeitlos gültiger Literatur wäre so eine Idee, was aber derart größenwahnsinnig klingt, dass ich jetzt leicht resigniert die beschrittenen Gedankenwege verlasse und mich an den mir zugewiesenen Platz setze.“ (S. 49)
Dabei sind seine Haiku, dasjenige am Anfang des Buches und diejenigen, die jeweils zwischen zwei Erzählungen und am Ende des Buches platziert sind, ein wesentlicher Bestandteil der Texte. Sie fassen die Geschichten auf unnachahmliche Weise, mal nachdenklich, mal humorig, zusammen.
Mein Herz klopft schneller.
In jeder Runzel des Mönchs
steckt eine Botschaft
(S. 20)
Gekonnt schwebt der Reis
auf den Essstäbchen zum Mund.
Jetzt klebt er am Hemd
(S. 26)
Georges Hartmann beendet sein Werk, wie könnte es bei ihm auch anders sein, mit einem eher selbstkritischen Haiku.
Gott runzelt die Stirn.
Die Nase gestrichen voll
liest er jetzt Sein Buch
Es ist jedoch ratsam, sich durch dieses Haiku nicht davon abhalten zu lassen, das Buch „Verbrüderung“ von Georges Hartmann zu lesen.
***
Rezension von Rüdiger Jung:
Georges Hartmann „hat mit dem Frankfurter Haiku-Kreis zwei Japan-Reisen unternommen und die hierbei gewonnenen Eindrücke einem Reisetagebuch anvertraut.“ (S. 2). Georges Hartmann ist ein trefflicher Chronist. Er bringt wichtige Eigenschaften mit: Neugier und die Gabe des Staunens. Beides vermag er so weiterzugeben, dass es andere ansteckt. Er ist ein guter, weil unermüdlicher Beobachter. Er sucht nicht so sehr den Ort, wo ihn alle mitkriegen, sondern eher den, wo er alles mitkriegt. Sympathie ist wichtig – für einen Reiseführer, nicht weniger für den Chronisten einer Reise. Zu Georges Hartmanns nicht zu bezweifelnden Gaben gehört ein – notfalls Kapriolen schlagender – Humor, der auch vor der äußersten Selbstironie nicht Halt macht. Er attestiert sich „Einsilbigkeit“ (S. 5) und freut sich jeden Beistands bei der Kommunikation. Er bleibt eingeforderte Haiku schuldig (S. 18, S. 32), was ihn als Autor eher adelt, denn in Frage stellt. Die „silberne Zitrone für weltvergessenes Verhalten“ (S. 40) trägt er mit Würde – kein Zweifel, die hat er sich selbst zuerkannt.
Er ist ein Held. Man freut sich mit ihm – weil es eine Fülle neuer, verblüffender, überraschender Einblicke gibt. Und man leidet ihm, wenn man die Strapazen der Reise gewahrt. „Der Japaner scheint mit quarzgenauer Perfektion selbst den strapaziösesten Ablaufplan unter allen Umständen einzuhalten.“ (S. 7). Kein Zweifel, dass das für die deutschen Gäste eine, nein: die Steilvorlage ist. Wie die anderen Gäste muss er „das Märchen vom unersättlichen deutschen Heißhunger ausbaden.“ (S. 9). Dann sind da Momente der Ermüdung und Erschöpfung – absolut real, wenn auch mit den irrwitzigsten Folgen: „Die Zeitumstellung und zwei schlaflose Nächte lassen mein Gesicht in zartem Japanischgrau erstrahlen, wozu die Müdigkeit meine Augen zusätzlich in zwei langgezogene Striche wandelt, was die gelangweilt dreinschauende Bedienung hinter dem Frühstückstresen keine Sekunde an meiner japanischen Identität zweifeln lässt“ (S. 38). Schließlich ist die Begegnung mit einer fremden Kultur so faszinierend wie herausfordernd, was auch heißt: schlicht aufregend. „Ein schneller Blick auf die Tischkarten signalisiert mir, dass ich bei drei Japanern zu sitzen komme, was die Schweißproduktion in den Achselhöhlen sofort wieder ankurbelt.“ (S. 45). Wer zweifelt da an der hilfreichen Kraft des Humors: „Rechts ein Japaner, direkt vor mir zwei weitere und über mir lacht der liebe Gott was das Zeug hält.“ (S. 49). Es macht den selbstkritischen Beobachter aus, dass er die begrenzten Erfahrungen einer begrenzten Zeit nicht auf die Goldwaage legt: „Ob das bisher Erlebte für Japan repräsentativ oder die Wahrheit an einer ganz anderen Stelle zu suchen ist? Um Menschen, ein Land und eine Kultur begreifen zu lernen, benötigt man sicherlich mehr als eine bloße Stippvisite.“ (S. 12).
Trägt Georges für Japan einen Schlüssel in Händen, dann ist es seine Sympathie für das Land, die Kultur und die Menschen: „Und wer schon einmal von einer Abordnung des Hotelpersonals mit einem hochgehaltenen Abschiedstransparent bedacht worden ist, kann diesem gekonnt freundlichen Volk sowieso nie mehr böse sein.“ (S.21). Daran mag auch ein Tee nichts ändern, der als eher gewöhnungsbedürftig geschildert wird: „Dieser schaumig aufgerührte, spinatgrüne Sud hätte dazumal als Abwehrmittel gegen die fliegenden Reißzähne aus Transsilvanien den eher bescheidenen Erfolg des Knoblauchs garantiert weit in den Schatten gestellt.“ (S. 17). Wo man „aus Gründen der Völkerverständigung japanisches Bier zum deutschen gießt“ (S. 57), steht der titelgebenden „Verbrüderung“ nichts mehr im Wege. Zumindest für das Empfinden des Autors bleibt eine Steilvorlage der Gastgeber ohne adäquate Antwort: „Als Bekräftigung der deutsch-japanischen Beziehungen intoniert ein Frauenchor das „Heideröslein“, die „Loreley“ und „O Tannenbaum“, dem wir betrüblicherweise nichts entgegenzusetzen haben.“ (S. 22). Die Annäherung liegt zutiefst in den Händen des Humors. Etwa, wenn „ein eher betagtes Männermodell“ sich als Autor zu dem von Erika zuvor sicher diagnostizierten „Frauen-Haiku“ bekennt (S. 52). Oder die Geschenke der Gäste für Erheiterung sorgen: „Jetzt schlägt Martin zu einem weiteren Satzball auf und punktet mit echten Ostereiern von freilaufenden Hühnern, welche er an alle Damen verteilt, die selbige zwar ziemlich unschlüssig, dafür aber laut kichernd in Empfang nehmen.“ (S. 53).
Zentrale Probleme – nicht nur der japanischen Gesellschaft! – bleiben nicht außen vor: „Herr Araki beklagt (…) die immer problematischer werdende Frage nach der Bezahlbarkeit des Altwerdens.“ (S. 31).
Georges Hartmann spricht vom Haiku als „einer Kunst (…), der ich eigentlich nur so zum Spaß und mit zweifelhaften Ergebnissen nachgehe.“ (S. 48). Die Bescheidenheit ist echt, dem Befund indes gilt es zu widersprechen. „Dass der Haushund freundlicher bellt als bei unserem Einzug, gibt mir allerdings schon zu denken.“ (S. 10). Wer sensibel genug zu solcher Wahrnehmung ist, der überrascht nicht, wenn er Haiku schreibt, die dem Leser wirklich nachgehen:
Mein Herz klopft schneller.
In jeder Runzel des Mönchs
steckt eine Botschaft (S. 20)
Der Mönch senkt den Kopf.
Was für ein mieses Karma.
Das dauert, Bürschlein (S. 64)