„tanZEN„, Gabriele Hartmann, ein Künstlerbuch |
A4 quer, 50 unterschiedlich große, farbige, von Hand gestaltete Seiten, 2016, limitierte, nummerierte und signierte Auflage (10 Stück), in einer Mappe. |
Rezension Rüdiger Jung
Als der Japonismus die Haiku-Dichtung ein erstes Mal nach Europa spülte, waren der Jugendstil und die Idee vom Gesamtkunstwerk nicht mehr fern
Gesamtkunstwerk: eine Verlockung für einen Menschen, der das Wort Kunst gleich zweimal buchstabiert: einmal auf bildnerische, einmal auf literarisch poetische Weise. Wenn ich bei tanZEN von Gabriele Hartmann von einem Kleinod spreche, beiße ich mir sogleich auf die Lippen, weil ich dieses Wort nie mehr inflationär gebrauchen mochte. Denn was einzigartig ist, sollte auch als einzigartig benannt werden und bleiben. Gesamtkunstwerk? Fragen wir das Impressum
2016AquarellpapierBuchschrauben
CollagenEckenFotografienvon
GeorgesHartmannallesandereist
vonGabriele!gedrucktgefaltet
geheftetgeklebtgeknicktgelocht
gemaltFarbeFolieFotopapier
Gendaigerissengeschnitten
geschriebengestanztgetackert
HaibunHaigaHaikuHandarbeit
KantenKartonkopiertKünstlerbuch
limitiertLöchernonpermanent
nummeriertoffenOriginal
PackpapierPapierpermanent
ServiettensigniertTankaTonpapier
TransparentpapierTrennblätter
u.v.m.verborgenZE
Ich lese „tan“ und denke an Tan-Renga – solche, die man zu zweit verfasst. Also nicht das „Klatschen mit einer Hand“, das in der Paradoxie eines Koan einem Gedichtband Dietrich Krusches den Titel lieferte. Womit auch schon „ZEN“ angesprochen wäre, der Hintergrund der Haiku-Dichtung in Kultur und Weltanschauung des Fernen Ostens
Platz für Zwei, also für die Liebe und auch für die Eifersucht
Hahnenschrei
ich will dich – ich will dich nicht
wecken
antworte nicht
Wind, wenn ich dich frage
wen er jetzt küsst
Die Schwierigkeit der Liebe in Zeiten des Krieges wird literarisch benannt:
Feldpost
das Eigentliche
geschwärzt
und für den Betrachter künstlerisch kongenial umgesetzt, in dem die Technik der Heereszensur genau ins Bild gesetzt wird.
gute Vorsätze?
die fasse ich
morgen
lautet das denkbar überzeugendste Neujahrs-Haiku, von Georges mit einem abgründig köstlichen Foto hinterlegt
warumsoschnellichmeinmeinlebe
heißt die Vergänglichkeitsklage in ihrer gedrängtesten (Gendai-) Form, die nicht einmal mehr die einmalig betätigte Leertaste zwischen den Wörtern zulässt. Atemlos – erst recht – gerät der Urgrund des Staunens und mithin aller Philosophie, am Ende des Bandes daheim in der unermesslichen Weite zwischen Anselm von Canterburys ontologischen Gottesbeweisen und der Konkreten Poesie.
warumnichtnichts
warumnichtnichts
warumnichtnichts
warumnichtnichts
warumnichtnichts
warumnichtnichts
warumnichtnichts
warumnichtnichts
warumnichtnichts
Das Schwere leicht zu sagen, ist die besondere Gabe Gabriele Hartmanns. Wer sonst fände eine derart griffige Formel für das Anthropozän, unser Zeitalter, in dem der Mensch (beileibe nicht nur zum Guten!) die Welt gestaltet:
Ursuppe einer würzt nach
Geradezu zwingend, dass dieser Satz in seiner graphischen Gestaltung einen Schatten wirft.
Rüdiger Jung