Was heißt denn hier Neu?
Neugierige kosten ein Appetithäppchen, Stammgäste können auf einen Blick erkennen, ob einzelne Haiku, Tanka, Haiga oder Haibun von Georges oder Gabriele Hartmann neu veröffentlicht wurden, welches neue Buch der bon-say-verlag gerade herausgegeben hat, ob schon eine Rezension erstellt wurde und vieles mehr.
Allerdings ist nach spätestens drei Monaten auch das Neue nicht mehr neu genug und wird aus dieser Auflistung verschwinden.
Welche Veranstaltung man sich vormerken sollte, sehen Sie unter Termine.
Tipps:
Öfter mal reinschauen, damit Sie nichts verpassen.
Und wenn Sie gerne weitere Haiku, Tanka & Co lesen wollen, klicken Sie unter Verlag die Buchcover an. Dort sind Leseproben und Rezensionen hinterlegt. Und alle Haiga finden Sie unter Markt.
Viel Vergnügen wünscht
Gabriele Hartmann
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neu am 2. Januar 2025
1 Haiga von Gabriele Hartmann
Worte, die ihr Ziel
verfehlen – er justiert
den Bogen
erst bei Haiga im Focus, Hrsg.Claudia Brefeld
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neu am 15. Dezember 2024
2 Haiku & 1 Haiga von Gabriele Hartmann
HOME
die Feuerstelle
verlassen
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Gegenwind
ich erhebe
meine Stimme
winterliche Wiesen
ein Silberreiher
bricht das Licht
Zu diesem Haiku schreibt René Possél:
Das Haiku spricht mich an – ohne dass ich es ganz verstehe. Erstens: Es spricht mich an wegen der leuchtenden Bilder, die es visuell hervorruft und des dazu passenden hellen Klanges beim lauten Lesen. Schnee und Sonne, die das Leuchten produzieren, sind hier nur indirekt genannt und präsent. Zu den Bildern: Der erste Bildeindruck ist der von „winterlichen“, d.i. schneebedeckten Wiesen; ein weißes Tableau. Auch der Silberreiher, der über diese weiße Landschaft fliegt, verstärkt mit seinem Gefieder den monochrom weißen Eindruck. Zuletzt ist es das (Sonnen-) Licht auf dem Gefieder des Vogels, das diese Symphonie in Weiß krönt. Zum Klang: Es überwiegen im Rezitieren die hellen Vokale, vor allem das „i“: „winterlich“ – „Wiesen“ – „Silberreiher“ „bricht“ – „Licht“. Sie sind gewissermaßen das akustische Äquivalent zu dem leuchtenden Eindruck, den Landschaft, Reiher und Licht visuell bei mir hervorrufen.
Zweitens: das Bild, das der Satz über die Zeilen zwei und drei zeichnet: „ein Silberreiher bricht das Licht“ ist mir physikalisch nicht richtig klar. Man spricht ja von „Brechung des Lichts“, wenn Licht von einem Medium in ein anderes übergeht – so z.B. wenn Luft auf Wasser auftrifft und ein Teil reflektiert wird, ein anderer Teil aber seine Richtung verändert, „bricht“. Ich sehe hier zwar ein „Reflektieren“ des Lichtes, aber kein „Brechen“ und verstehe daher nicht die Wendung, dass „ein Silberreiher das Licht bricht“ …
Das Haiku wirkt auf mich durch seine bezaubernde winterliche Bild- und Laut-Gestalt. Die sprachliche Darstellung des Silber-Reihers im Licht der Sonne bleibt für mich unbefriedigend. Dennoch: Das Haiku hat mich insgesamt „angesprochen“.
alle Beiträge zuerst bei www.haiku.heute.de ; Hrsg. Dr. Volker Friebel
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neu am 10. Dezember 2024
ein Haiku von Gabriele Hartmann
ausgewählt und auf englisch von Claudia Brefeld
veröffentlicht und auf japanisch von Emiko Miyashita
bellender Nebel
die Herde weidet
jenseits der Zeit
barking fog
the herd grazes
beyond time
吠える霧
群れは草を食む
時を超えて
auf: https://www.haiku-hia.com/germany_en/147.html
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neu am 2. Dezember 2024
2 Tanka, 3 Haiku und 1 Haiga
von Gabriele Hartmann
„Kopftuch-Mädchen!“
sprachliche Gewalt
von rechts
die Jungfrau Maria neigt
das verhüllte Haupt
tief stehende Sonne
ihre faltigen Hände
ruhen im Schoß
Gewitterstimmung
über dem Pflaumenkuchen
ihr Summen
bellender Nebel
die Herde weidet
jenseits der Zeit
meinen Kontrollzwang
kriege ich in den Griff
morgen
werde ich überprüfen
ob ich Wort gehalten habe
Spätausgabe
ich blättere vor
und zurück
erst auf haiku.de und in Sommergras 147, Dezember 2024
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neu am 2. Dezember 2024
1 Haiga von Georges Hartmann
vergessen auf Zeit
im sich lichtenden Nebel
de alten Fragen
erst auf haiku.de und in Sommergras 147, Dezember 2024
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neu am 1. Dezember 2024
1 Haiga von Christo f Blumentrath und Gabriele Hartmann
wenn mir die Worte fehlen frischer Schnee
im Luftschutzkeller packt einer Geschenke aus
CB / GH
erst: auf www.claudiabrefeld.de/Haiga-im-Focus; Hrsg. Claudia Brefeld
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neu am 1. Dezember 2024
1 Haiku von Gabriele Hartmann
weißt du noch?
die vertraute Stimme
einer Fremden
erst: auf www.claudiabrefeld.de/Haiga-im-Focus; Hrsg. Claudia Brefeld
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neu am 15. November 2024
2 Haiku von Gabriele Hartmann
in den Tälern
Nebel – wir pflücken Wolle
von den Zäunen
warmes Brot
die Stille nach dem Brechen
der Kruste
erst bei www.haiku.heute.de ; Hrsg. Dr. Volker Friebel
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neu am 15. November 2024
ein Tanka & 1 Tanka-Haiga von Gabriele Hartmann
auch in diesem Jahr
ist unser Urlaubsziel gleich
selbst die Gesichter
im Stau
erkennen wir wieder
in alten Briefen
such’ ich den Grund, warum
ich dich verlor
und find’ in jedem Satz
nur Gründe dich zu lieben
erst auf einunddreissig.net, Hrsg. Dr. Tony Böhle
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neu am 15. November 2024
2 Haiku und ein Haibun von Gabriele Hartmann mit eigener Übersetzung
Heavy Metal
der Vollmond scheint
unterlegen
Heavy metal
the full moon seams
inferior
Spinnfäden
seine Fingerspitzen gleiten
über die Gitarre
spider threads
his fingertips slide
over the guitar
Glas
Haibun
Als Kind sammelte ich weiße und grüne Scherben am Strand der Costa Brava. Der feine Kies hatte sie milchig geschliffen. Fand ich eine blaue, war Feiertag.
Noch heute bewahre meinen Fund in einer Kristallschale.
Aquamarin
in deinen Augen
leuchtet die Zeit
Glass
Haibun
As a child I collected white and green shards on the beaches of the Costa Brava. The fine gravel had ground them to a milky consistency. If I found a blue one, it was a holiday.
I still keep my find in a crystal bowl today.
aquamarine
in your eyes
shining the time
erst auf Chrysanthemum.net, Hrsg. Beate Conrad
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neu am 1. November 2024
1 Haiku von Gabriele Hartmann
Ewigkeitswald – die Spuren verlieren sich
erst: auf www.claudiabrefeld.de/Haiga-im-Focus; Hrsg. Claudia Brefeld
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Im Dezember erschienen
7 ausgewählte Haiku von Gabriele Hartmann zu verschiedenen Themen
KRIEG UND FRIEDEN
Artilleriefeuer in der Ferne bellt ein Fuchs
LEID UND TRAUER
Ausgangssperre
das letzte Glas Wein
miteinander teilen
HOFFNUNG
ein Schwan
und seine Spur im Schlamm
wir vergeben der Welt
KINDER
in allen Fenstern
Nacht – mein Enkel & ich &
die Mengenlehre
UNGEWÖHNLICHE HAIKU
Nachtvorstellung ein Boulespieler fixiert den Mond
KRITIK
wieder Ostwind
mit der Zeitung hole ich
die Kälte ins Haus
KINDER
zum Frühstück
Haferbrei – der Jüngste
beklagt sein Karma
Die 7 Haiku sind erschienen auf www.haiku-heute.de unter dem jeweils vorangestellten Thema zu den Guten Beispielen.
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im November 2024 erschienen
12 Haiku, 1 Erzählung, 1 Erfahrungsbericht, 1 Haiga & 4 Fotos von Georges Hartmann
Der Frau am Fenster
bleibt nur ein leerer Schulhof
zur Ferienzeit
Das Falsche gewünscht
bei der nächsten Sternschnuppe
mach ich es besser
Jetzt, da du fort bist,
sind die Rosen voll erblüht.
Wollt’s dir noch zeigen
Foto Georges Hartmann: Der neue Hut
Schon Ende August
wirft die Dunkelheit schneller
ihr Netz über uns
Nach dem Saison-Schluss
bespielt den Minigolf-Platz
ganz allein der Wind
In grauen Haufen
verglüht der Herbst zu Kompost,
verhüllt vom Nebel
Foto Georges Hartmann: Sein ganzer Stolz
Die Angst wird spürbar
an den Alarmanlagen
im Wohlstandsviertel
Nässe
Der Nebel im Kleingarten
greift jetzt auch nach mir
Das kleine Pappschild
an der Tür zum Eis-Salon
schimmert im Herbstlicht
Die Abendstille
unterbricht den Flug der Zugvögel
mit lautem Tosen
Foto Georges Hartmann: Eselskarren
Auf dem Dachboden
betrügt man das Schaukelpferd
ums Kinderlachen
Als letztes Geschenk
verströmt der gefällte Baum
süß riechendes Harz
Foto Georges Hartmann: Schwestern
MULASKI UND DIE EHRENNADEL
Beim Verlassen der Gaststätte schlug ihm die kalte Luft unangenehm in die weit geöffnete Jacke. Er widerstand dem ersten Impuls, sie zuzuknöpfen, weil er sich davon eine ernüchternde Wirkung versprach, die er jetzt dringender denn je nötig hatte. Er spürte, wie sich die Haut unter dem allzu dünnen Oberhemd krampfartig zusammenzog. Die Schweißflecken um die Achselhöhlen schienen sich von einer Sekunde zur anderen in Eisplatten zu verwandeln. Das schmerzhafte Empfinden der Kälte machte ihm bewusst, mindestens ein Bier zu viel getrunken zu haben. Für ihn stand es außer Frage, dass die Kellnerin , die ihn in ihrer Schwärze wie magisch angezogen hatte, an seinem miserablen Zustand mitschuldig war. Ohne sie wäre er sicher bereits nach dem ersten Glas wieder aus dem Gastzimmer geeilt. Aber dieses wohlige Prickeln und die vage Hoffnung auf mehr, hatten ihn auf seinem Platz an der Theke ausharren lassen, den sie in jeder Bedienungspause ansteuerte, um die Bestellungen an den am Zapfhahn stehenden Wirt, oder halb in die Durchreiche zur Küche gebeugt, an das dort beschäftigte Personal weiterzugeben. Manchmal waren es nur Sekunden, die sie neben ihm stand, so dass er die scheinbar nicht satt zu bekommenden Gäste, die kein Gespür für die sich zögernd entwickelnden Anbahnungen mit dieser zierlichen Frau aufzubringen schienen, langsam zu verfluchen begann.
„Setzen Sie sich doch für einen Augenblick zu mir und erzählen Sie mir noch ein wenig von Rita.” Am liebsten hätte er sich auf die Lippen gebissen, hatte er doch den obersten aller Grundsätze missachtet, die Frau, für die er sich so offenkundig engagierte, nach einer anderen aushorchen zu wollen.
Wie jeder Gast, der jährlich mehrere Wochen an dem selben Ort verbringt, hatte auch er sein Faible für ein bestimmtes Lokal entdeckt, was im Lauf der Zeit dazu führte, dass er nicht nur mit den auf Trinkgeld lauernden Bedienungskräften oder dem Küchenpersonal ins Gespräch, sondern auch mit Rita, der Wirtin, in lockere Tuchfühlung kam. Schon bald machte es sich Rita zur liebgeworden Verpflichtung, abends, wenn er gewohnheitsmäßig den Tag im Lokal ausklingen ließ, an seinem Tisch Platz zu nehmen, um über dies und das zu plaudern. Der Umgangston beinhaltete bald mehr als lediglich kundenfreundliches Verhalten.
Der Kontakt zwischen Rita und ihm intensivierte sich von Mal zu Mal, ihre Vertrautheit wuchs zu einem kameradschaftlichen Miteinander auf privater Ebene. Es war eine dieser leidenschaftslosen Freundschaften, bei denen jeder alles vom anderen wusste, ohne sich dabei vollends zu demaskieren. Das Bemühen, in allen die Person betreffenden Fragen Neutralität zu bewahren, zeichnete diese Beziehung aus, wodurch sich über die Jahre hinweg eine solide Basis ergab, die jedesmal für die Länge eines Urlaubs andauerte, aber ansonsten nicht gepflegt wurde, von den Kartengrüßen zu besonderen Anlässen einmal abgesehen.
Mulaski war sich damals ziemlich sicher, dass sein Platz nach Ablauf des Urlaubs, wenn vielleicht nicht gerade am gleichen Tag, so doch spätestens am nächsten, von einem anderen Gast ausgefüllt wurde, wobei nicht auszuschließen war, dass sich dabei auch über den platonischen Umgang hinaus andere Konstellationen ergaben. Obwohl Mulaski regelmäßig darüber nachdachte, verdrängte er diese Gedanken, die er ihr gegenüber nie zur Sprache brachte, stets. Rita galt als lebenshungrig und sah in ihm, der schon alles hinter sich hatte, was sie in dieser Deutlichkeit allerdings nicht wusste, so etwas wie einen ruhigen Pol, dem man ohne zu viel zu verraten ungeniert das Herz ausschütten konnte. Mulaski war sich dieser doch eher oberflächlichen Position im klaren und gefiel sich darin, wie in all seinen Rollen bisher.
Auf jeden Fall war es dann vor drei Jahren passiert, dass Rita ihren Beruf aus weiß Gott welchen Gründen von heute auf morgen an den Nagel hängte und sich mit einem Mann, den er bislang noch nicht kennengelernt hatte, liierte und kurz darauf zurückzog. Im ersten Moment fühlte er eine sich auftuende Leere und glaubte sich irgendwie hintergangen. Aber da ihre Gemeinsamkeit nie einen besonders innigen Grad angenommen hatte, verblassten die Empfindungen zunächst schneller als erwartet. Sie lösten sich in gleichgültige Bedeutungslosigkeit auf, die erst später zu neuen quälenderen Gedankengängen formiert wurden, welche ihm signalisierten, dass Rita im Gedächtnis nicht so leicht ausgelöscht werden konnte und in seinen Vorstellungen und Planungen vielleicht doch einen größeren Stellenwert einnahm, als er sich selbst bisher eingestanden hatte, was ihn in eine nicht unerhebliche Verwirrung stürzte.
Drei Jahre lang hatte er sich seither damit begnügt, in dem Lokal, das er nach wie vor regelmäßig als feste Urlaubseinrichtung ansah, den einheimischen Stammgästen, die sich hier allabendlich auf ein Glas zusammenfanden, zuzuhören, ohne dabei selbst Stellung beziehen zu müssen. Die meisten kannte er weitläufig, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Nicht umsonst hatte er vergangenes Jahr vom Fremdenverkehrsbüro die Ehrennadel für zwanzig Jahre Standorttreue erhalten. Anfänglich war Rita ein unerschöpfliches Gesprächsthema, und die Vermutungen pendelten zwischen Mafia und Nonne. Alles war möglich. Die wildesten Gerüchte kursierten im Ort, ohne dass irgendwer genaueres wusste. Natürlich konnte sie sich in all der Zeit nicht von allem und jedem isolieren, denn auch sie musste zur Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse mit der Außenwelt in Verbindung bleiben. Doch indem sie ihre Besorgungen mit dem Wagen in der 30 km weit entfernten Stadt erledigte, löschte sie ihre Person im Gedächtnis der Leute, wodurch die sich um sie rankenden Erzählungen bald erschöpft waren.
Rita und dieser Typ, wie er ihn abschätzig nannte, wohnten im „Bärlapp“, einem außerhalb des Dorfes liegenden Häuschen, das im Volksmund seinen Namen von einer dort um die Jahrhundertwende wohnenden Kräuterhexe erhalten hatte. Er wusste aus Ritas Erzählungen, dass sie bereits vor langer Zeit an dem Häuschen, das durch schwere Schäden stark mitgenommen war, derart Gefallen gefunden hatte, dass sie fest entschlossen war, es zu ihrem Altersruhesitz auszubauen. Mit großem Aufwand hatte sie die gegenwärtigen Besitzer in der Tschechoslowakei ausfindig gemacht, die von ihrem Besitztum zwar wussten, sich aber wegen der allzu großen Entfernung nicht darum kümmern konnten. Rita zahlte den Leuten einen fairen Preis und wurde somit Besitzerin einer Liegenschaft, der kein besonders guter Ruf anhaftete, hieß es doch, dass in dem seit undenklichen Zeiten leerstehenden Haus die Mächte des Bösen ihr makaberes Spielchen trieben.
Mulaski beendete abrupt seine Gedankengänge und machte sich durch die kalte Nacht auf den Weg zu seinem angemieteten Appartement. Mit der Kellnerin war er sich immerhin für morgen Abend einig geworden. Er hatte ihr ein eher zweifelhaftes Rendezvous abringen können, was erst dann zustande gekommen war, nachdem er ihr gegenüber, obwohl sie zuerst von Rita angefangen hatte, nichts mehr von ihr erwähnte und sie, nachdem ihr die nur mehr spärlich anwesenden Gäste längere Ruhepausen gönnten, eine Flasche Champagner leergetrunken hatten.
Es war sein zweiter Urlaubstag, doch er spürte, wie sich das Verlassenheitsgefühl schlagartig in ein den ganzen Körper überziehendes Prickeln verwandelte. Nicht, dass er an längst verdrängte Zeiten anknüpfen wollte, doch die Schwarze, wie er sie innerlich nannte, hatte ihm ganz schön den Kopf verdreht. Oder inszenierte er all das nur wegen Rita, die sich, das hatte er den Äußerungen der Schwarzen entnommen, seit Monaten wieder regelmäßig im Lokal einfand, um in der Wirtsstube allein an einem Tischchen sitzend bei einem Glas Tee eine Zigarette zu rauchen, ohne dabei von den anderen Gästen auch nur im Geringsten Notiz zu nehmen. Er fand damit das direkt bestätigt, was ihm der Vermieter seines Urlaubs-Appartements anlässlich seines Geburtstages als völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Satz auf die Grußkarte geschrieben hatte. Ganz langsam wurde ihm bewusst, dass seine überstürzte Abreise ganz offensichtlich etwas mit Ritas zögernder Rückkehr aus der selbst gewählten Isolation zu tun haben könnte. Mit einer wegwerfenden Gebärde verdrängte er das in ihm aufkeimende Grauen und schalt sich einen alten Narren.
(die Erzählung Mulaski und die Ehrennadel findet sich auch in Georges’ neuem Buch „TAGTRÄUME – Gedankengänge“)
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Georges’ Erfahrungsbericht zum Haiku findet sich hier.
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alles in Schreibtisch 2024 – literarisches Journal, Hrsg. Karina Lotz, verlag edition federleicht
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im November 2024 erschienen
12 Haiku, 5 Haiga, eine Tanka-Tanbun-Sequenz & 1 Haibun von Gabriele Hartmann
erstes Frühlingshoch
auf keiner Karte: der Orkan
meiner Hormone
sommerliche Bö
Hand in Hand belauschen wir
die Stille danach
morgendliche Kühle
ihr Finger berührt
sein Handgelenk
noch als Entwurf
gespeichert sein Herz
abgekühlt
Vorhaltungen
die Lust an einem alten Stich
zu kratzen
ewiges Leben
er ordert
die Testversion
bewölkter Himmel
sorgsam stopft er
seine Pfeife
leere Seiten
wird es morgen sein
wie heute?
von Straßenlaternen
tropft Licht – er schiebt den Hut
aus der Stirn
verliert sich wieder
meine Sehnsucht nach Worten
im dichten Nebel
Kirschblütenlippen
die sanfte Wölbung zwischen
Himmel und Erde
geschmiedete Ringe
allmählich werden sie
enger
am Morgen danach zerzaust –
Gräser im Wind
drei Tage Schweigen
dann finden wir
den Schlüssel
arktische Kälte
wir filzen
eine zweite Lage
Amors Pfeil
diese Schlacht werde ich
verlieren
nach Jahren
suchen wir ihn auf – jenen Platz
wo heimlich
wir und trafen – und noch immer
ist da dieses Leuchten
KATEGORISCHER IMPERATIV
Haibun
Augustäpfel
wir falten die Hände
zur Räuberleiter
Im angrenzenden Wald hat es vor einigen Tagen gebrannt, sie konnten die Flammen rechtzeitig löschen. Bis der Nächste seine Kippe wegwirft. Oder eine leere Flasche als Brennglas fungiert. So habe ich geträumt/gegrübelt, was wir ohne Wasser machen würden/werden.
Ich wasch mich seit Wochen kalt. Spart Strom/Wasser. Und kühlt. Gar nicht so schlecht.
Der Garten muss sehen, wie/ob er das schafft. Montag soll es regnen.
das Ende der Welt wir buchen Last minute – einfache Fahrt
WAFFENRUHE
Tanka-Tanbun-Sequenz
der verloren geglaubte Sohn duckt sich ins Gebüsch
tiefrot: die leeren Seiten in seinem Schießbuch
ein Heldenepos ohne Protagonisten
ich spreche nicht
von der Front
nicht von den Toten
nicht ihren leeren Augen
nicht von den Müttern
sein ausweichender Blick sinkt in die Schweigerose
als suche er den Wind ausgestorbener Gärten zu fangen
während wir warten auf den Konjunktiv
die Zeit
liegt immer vor uns
er reißt die Narrenmaske ab – im Gesicht verblichenes Grau
verzerrte Stimmen verlassen die Zeit
ist dies die erhoffte Rückkehr?
am verwaisten Ufer
bricht dünnes Eis
selbst im Mittwinter
mit Lichtgeschwindigkeit eskaliert das Gespräch zur Inquisition
da entscheidet sich die Jüngste für’s Fastenbrechen (mit vollem Munde
spricht man nicht) und wir entwirren gemeinsam gekeimte Kartoffeln
alles in Schreibtisch 2024 – literarisches Journal, Hrsg. Karina Lotz, verlag edition federleicht
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neu im November 2024
3 Haiku, 1 Tanka & 1 Haibun von Gabriele Hartmann
Vernissage
auf ihrer Wange
blutige Spuren
am Ende
kannte ich alle
Bauern und Könige
und sang nach jedem Glas
ihr Lied von der Freiheit
Brunftzeit
durch den Wald röhren
Biker
Verwandtenbesuch
er schlägt einen Knick
ins Paradekissen
Schneid
Haibun
Während des Krieges wurde Mutter aus dem Ruhrgebiet in ein kleines Dorf evakuiert. Den Lebensunterhalt für sich und Großmutter hat sie durch Näharbeiten bestritten. Aus Fallschirmseide wurden Hochzeitskleider geschneidert, alte Mäntel in mühevoller Handarbeit getrennt, gewaschen, gebügelt, gewendet und anschließend zu „neuen“ Kostümen verarbeitet. Einmal hatte sie eine Nähnadel verschluckt, da kamen ihre Kundinnen und brachten Sauerkraut. Dann endete der Krieg. Landesweit wurden Orden und Abzeichen in Güllegruben versenkt. Und Mutter blutete das Herz, weil sämtliche Uniformen verbrannt wurden. Was man daraus nicht noch alles hätte schneidern können.
eingeholt …
wehende Fahnen
im Wind
in Lotosblüte 2024, Hrsg. Österreichische Haiku Gesellschaft, Petra Sela
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neu im November 2024
4 Haiku von Georges Hartmann
Vermummte Frauen
stehen unter kahlen Bäumen.
Schneescheuer im März
Zur Friedens-Demo
ein Grußwort vom lieben Gott.
Taubenfedern
Durch den Bahnhof
zur Arbeit – auf Gleis 1
der Zug nach Paris
Heilkrampf
Vater arbeitet
an der Sandburg
in Lotosblüte 2024, Hrsg. Österreichische Haiku Gesellschaft, Petra Sela
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neu am 14. Oktober
Grußkarte „Wald aus Licht„
Einzelheiten über den obigen Link
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neu am 15. Oktober
ein Haiku von Gabriele Hartmann
Orchesterprobe
ein Kind spendet
Applaus
erst: www.haiku-heute.de; Hrsg. Dr. Volker Friebel
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neu am 12. Oktober 2024
TAGTRÄUME – Gedankengänge
von Georges Hartmann
Softcover, Fadenbindung, 12,5 x 19 cm, 80 Seiten, mit 23 Schwarzweiß-Fotografien von Georges Hartmann.
bon-say-verlag, 2024, ISBN 978-3-945890-56-1, 14 €
Rezension von Brigitte ten Brink
Mulaski, so heißt der Protagonist dieser Erzählung von Georges Hartmann, macht Urlaub in den Bergen, in einem Ort, in dem er schon seit zwanzig Jahren Urlaub macht.
Wie ein Spion sitzt der Erzähler in Mulaskis Gehirn und gibt dessen Tagträume und Gedankengänge wieder. Er weiß genau, was in Mulaski vorgeht. Und in Mulaski geht viel vor und es geht kompliziert vor. Mulaski träumt keine einfachen Dinge, seine Gedanken wenden und drehen sich ineinander und umeinander. Sie reflektieren aufs Schonungsloseste seinen inneren Zustand und der besteht im Grunde aus einer tiefen Unzufriedenheit mit sich selbst, dem Gefühl einer ständigen Überforderung, der Frage nach dem Sinn des Lebens, der Frage danach, wie Wahrheit entsteht und der Frage nach dem, was gut ist und was böse. Es kreist also Schwerwiegendes im Kopfe Mulaskis. Gleichzeitig entwirft er dabei das Bild einer dekadenten Welt, deren Teil er ist.
Die Erzählung besteht aus zwölf Kapiteln, die so unterschiedliche Überschriften tragen wie Mulaski und die Nagelprobe oder Mulaski und die Zwischenwelt. Schon allein diese Titel lassen erahnen, welche Kämpfe Mulaski in sich und mit sich auszutragen hat.
Mulaski ist ein Suchender. Er sucht die Wahrheit in seinen Wahrnehmungen, die sich ihm auf die unterschiedlichste Art darbieten und die er auf die unterschiedlichsten Arten interpretieren kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die Mitmenschen ebenfalls ihre individuellen Wahrnehmungen und damit Wahrheiten haben. Unterschiedliche Sinngehalte zu ein und derselben Sache gestalten die Wahrheitsfindung unübersichtlich, weil nämlich die Summe, der Durchschnitt oder einzelne Aspekte aller logischen Möglichkeiten für zutreffend erklärt werden können. (aus Mulaski und die Seifenblasen) Und weiter: Rot sagt der Eine und rot der Andere, doch die Schattierung von rot, die damit verbundenen Assoziationen, machen das Erlebnis von rot für jeden zu etwas Anderem, so dass rot zwar immer noch rot bleibt, in Wahrheit aber nicht mehr zutreffend definiert werden kann. Mulaski gestand sich ein, dass eine rein philosophische Betrachtung die Lage noch mehr verwirren und im Ergebnis die Gefahr heraufbeschwören würde, dass die ihn umgebenden Dinge möglicherweise nur irreale Seifenblasen darstellen … (aus Mulaski und die Seifenblasen). So verzettelt sich Mulaski immer mehr und tiefer in seine Tagträume und die damit verbundenen Gedankengänge.
Georges Hartmann erzählt im Prinzip kleine, voneinander unabhängige Episoden, die jedoch durch Mulaskis regelmäßigen Besuche des Gasthauses in seinem Urlaubsort und die Anziehungskraft, die die Kellnerin dort auf ihn ausübt und seine nicht ausgelebte Affinität zu Rita, der ehemaligen Wirtin des Gasthauses, die noch immer einen großen Raum in seinem Kopf einnimmt, verbunden sind. Die Passagen, in denen Mulaskis Gedanken sich diesen beiden Frauen widmen, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Erzählungen.
Der Erzählstil Georges Hartmanns hat, wie auch schon in seiner Erzählung Nachher ist Freudloses Vorher etwas Kafkaeskes. Es ist manchmal verstörend, sich auf die Gedankengänge Mulaskis einzulassen, so absurd erscheinen sie auf den ersten Blick. Doch es ist auch sehr spannend, sie zu verfolgen. Georges Hartmann gelingt es hervorragend, die auktoriale, die allwissende Erzählperspektive einzunehmen. Nichts bleibt ihm als Erzähler verborgen und er kann aus dieser Position heraus über Mulaskis Weltsicht und seine Ansichten über die Menschen, die in dieser Welt sozialisiert wurden und sich in ihr bewegen, berichten. So entstehen immer wieder kleine philosophische aber auch Verhaltensweisen analysierende und entlarvenden Betrachtungen wie in dem Kapitel Mulaski und die Angst vor Ungewissheit. Hier beschäftigt Mulaski sich mit der Art und Weise von Informationsinhalten und deren Verbreitung: Der erbitterte Kampf um das exklusivste Stück Information und der daraus resultierende Ausbruch einer nicht für möglich gehaltenen Lust am Unglück der Anderen. Jeder für sich ein Paparazzi …
Dabei entbehren die Episoden, die Georges Hartmann Mulaski durchleben lässt, keinesfalls eines gewissen Humors. Oder ist es gar ein wenig Schadenfreude, wenn Mulaski sich im letzten Kapitel schlaflos im Bett herumwälzt? Es schien ihm endlos. Rücken-, Bauch- und Seitenlagen, mit angewinkelten oder gestreckten Beinen, mit unter dem Kopf verschränkten Armen, mit der Bettdecke zwischen den Knien oder diese halb von sich weggeschoben. (aus Mulaski und die Randnotizen) Es ist köstlich zu lesen, wie detailliert hier etwas beschrieben wird, was wohl jeder kennt. Als dann auch noch ein Hund zu bellen beginnt und zwei oder drei kleinere Kläffer Paroli zu bieten versuchen, ist es endgültig um Mulaskis Contenance geschehen. Er fühlte sich plötzlich als der ärmste aller im Dorf versammelten Hunde, ein Alleingelassener, der dem Chaos der eigenen Gedanken übereignet worden war, in dem er hilflos zu versinken drohte. (aus Mulaski und die Randnotizen)
In diesem letzten Kapitel der Erzählung scheint noch einmal Mulaskis ganzes Dilemma auf, als er in dieser schlaflosen Nacht in seinem Gepäck ein altes zerfleddertes Büchlein mit Haiku und in diesem einen Hinweis auf seinen Urlaubsort und weitere Randnotizen entdeckt. Mulaski wäre nicht Mulaski, wenn es ihm gelänge, am Ende seines Urlaubs eine wirkliche Entscheidung über sein weiteres Vorgehen hinsichtlich dieses Fundes und seiner Beziehung zu Rita zu treffen.
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neu am 1. Oktober 2024
ein Haiku von Gabriele Hartmann
Camouflage
der Blick des Wächters
irrt durchs Dickicht
erst: Haiga im Focus; Hrsg. Claudia Brefeld
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neu am 1. Oktober 2024
ein Haiga von Gabriele Hartmann
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Und wo sind jetzt die all schönen Beiträge vor dem 1. Oktober 2024?
Die waren nicht mehr neu genug für NEU.
Tipp:
Alle veröffentlichten Haiga finden Sie unter Markt / Haiga: https://bon-say.de/haiga/
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Viel Freude beim Stöbern wünscht
Gabriele Hartmann